Wenn Sport in den Kinderschuhen steckt

"Das Schöne ist ja, dass Kinder in der Regel von sich aus einen sehr hohen Bewegungsdrang haben"

Eine Studie des Robert-Koch-Instituts von 2018 zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat ergeben, dass ca. 15% der 3- bis 17-Jährigen übergewichtig sind. Diese alarmierende Zahl stagniert auf hohem Niveau.1 Schuld ist nach Aussage der Forscher vor allem ein dauerhaftes Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch. Und auch eine Warnung sprechen sie aus: Wer als Kind an starkem Übergewicht leidet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch später noch damit zu kämpfen haben. 1 2

Es lohnt sich demnach, früh gegenzusteuern – beispielsweise durch Sport. Die WHO hat 2010 Mindestempfehlungen für körperlich-sportliche Aktivität im Kindes- und Jugendalter veröffentlicht: Täglich mindestens 60 Minuten stehen auf dem Plan. Erreicht wird dieses Ziel gerade einmal von einem Viertel der Kinder und Jugendlichen weltweit.2

Bewegung, Bewegung, Bewegung

Dabei wäre es eigentlich ganz einfach, Kinder dazu zu bringen, sich sportlich zu betätigen, erklärt Dr. med. Ralph-Jörg Aman, der seit 20 Jahren eine orthopädische Facharztpraxis in Kulmbach betreibt: „Das Schöne ist ja, dass Kinder in der Regel von sich aus einen sehr hohen Bewegungsdrang haben“. Von klein auf erkunden sie durch Bewegungen ihre Umgebung, nutzen sie, um mit anderen Kindern Kontakte zu knüpfen oder sich im Wettbewerb mit ihnen zu messen. Mit der Entwicklung von Motorik und Koordination wird das Kind zunehmend selbständiger und sicherer im Umgang mit anderen.

Die Fähigkeit, Koordination zu erlernen, ist in einem Alter von 6 bis 10 besonders groß, weil sich grundlegende Funktionen des Zentralnervensystems in dieser Zeitspanne besonders stark ausbilden.3 Schon bei Kindern unter 6 Jahren haben Forscher aber festgestellt, dass sich komplexe Sportaktivitäten, auch in Verbindung mit Outdoor-Erlebnissen, positiv auf die Schulreife auswirken.4 Bei der Wahl des Sportprogrammes gilt es dennoch, Vorsicht walten zu lassen.

Sport ist nicht gleich Sport

Dr. Ralph-Jörg Aman rät bei Kindern unter 10 Jahren von bestimmten Sportarten ab. Verstärktes Krafttraining mit Gewichtsbelastungen oder Maximalkrafttraining, „Stichwort Fitness-Studio“, solle man wenn möglich weit zurückfahren, erklärt er. Hier gäbe es im Leistungssportbereich Tendenzen, die er als Orthopäde nicht gerne sähe. Leistungs- bzw. Hochleistungssport (über 12–15 Stunden bzw. 5–14 Trainingseinheiten pro Woche) kann bei sehr jungen Sportlern Langzeitschäden durch Verletzungen oder Wachstumsdefi­zite zur Folge haben.5 „Wenn es im frühen Kindesalter zu einer Überlastung der Muskulatur kommt“, warnt Physiotherapeut Niklas Dassinger, „kann dies später zu Gelenkbeschwerden, Fehlstellungen, Rückenproblemen und weiteren körperlichen Symptomen führen“.

Generell sollten Kinder auch verletzungsanfällige Sportarten meiden, fährt Aman fort. Boxsportler sind unter anderem besonders gefährdet, akute Verletzungen an Kopf, Gelenken und Knochen davonzutragen. Der in dieser Sportart regelkonforme Knock-out gleicht neuropsychiatrisch einer Gehirnerschütterung,6 d.h. einem „leichten Schädel-Hirn-Trauma“. Dieses gilt heute in Fachkreisen nicht mehr zweifelsfrei als folgenlos und unproblematisch, vor allem nicht, wenn es gehäuft auftritt.6 Demenz ist als Spätfolge chronischer Hirntraumata bekannt.7 Neben dem Boxen als einer Vollkontaktsportart ist das Verletzungsrisiko auch bei Fußball und Rugby hoch.5 In diesen Fällen ist es besonders wichtig, dass Schutzmaßnahmen eingehalten werden und eine kompetente Fachkraft zur Verfügung steht, die den Nachwuchs kindgerecht anleitet.

Win-Win-Situation

Prinzipiell ist Sport für die gesunde Entwicklung des Körpers günstig, betont Dr. Aman. Kinder, die regelmäßig Sport treiben, trainieren Kraft, Ausdauer, Koordination und Geschicklichkeit – je nach Sportart das eine mehr, das andere weniger. „Wenn Sie joggen gehen, haben Sie zum Beispiel ein sehr gutes Ausdauertraining, trainieren aber kaum Geschicklichkeit, Kraft und Koordination, sie laufen immer gerade aus. Ähnliches gilt für Schwimmen. Wenn Sie jetzt aber zum Beispiel eine tänzerische Sportart machen – Turnen, Kampfkunst etc. – dann haben Sie eigentlich alle Hauptbelastungsformen dabei“, erklärt der Orthopäde und Sportmediziner.

Sport trainiert nicht nur den Körper, sondern wirkt sich auch positiv auf die Psyche aus. Fortschritte und Routine im Bewegungsablauf können das Selbstwertgefühl junger Sportler verbessern.3 Wenn eine Sportart im Verein oder in Gruppen ausgetragen wird, wird zudem das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt. Kinder, die mit Gleichaltrigen aktiv werden, zeigen ein höheres Maß an sozialer Kompetenz und verhalten sich weniger schüchtern gegenüber ihren Mitmenschen.3 „Sport ist ein gutes Standbein zusätzlich zu Familie und Schule“, fasst Dr. Ralph-Jörg Aman zusammen, „weil man hier die Möglichkeit hat, sich selbst zu entwickeln und vor allem viel Kraft zu schöpfen“.

(1) Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2019): „Förderschwerpunkt Prävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen“, URL: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/kindergesundheit/praevention-von-kinder-uebergewicht.html [letzter Aufruf 29.03.2020], vgl. auch Anon. (2020): „Mehr Erwachsene mit Übergewicht“, in: Deutsches Ärzteblatt, URL: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/109330/Mehr-Erwachsene-mit-Uebergewicht [letzter Aufruf am 22.03.2020].

(2) Vgl. Journal of Health Monitoring (2018): „Sport- und Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends“, Robert-Koch-Institut, Berlin, URL: https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsJ/Focus/JoHM_02_2018_Sport_Ernaehrungsverhalten_KiGGS-Welle2.pdf?__blob=publicationFile [letzter Aufruf am 22.03.2020].

(3) Vgl. Brenner, Harald/Sax, Monika (2020): „Motorik und Koordination“, in: Planet Wissen: Natur, https://www.planet-wissen.de/natur/anatomie_des_menschen/bewegung_muskeln_ausdauer_koordination/pwiemotorikundkoordination100.html [letzter Aufruf am 22.03.2020].

(4) Vgl. Becker, Derek R. u. a.(2018):  „Complex Physical Activity, Outdoor Play, and School Readiness Among Preschoolers“, in: Global Education Review, 5(2), p. 110-122.

(5) Vgl. Weimann, Edda (2014): „Wie riskant ist Leistungssport für Kinder und Jugendliche?“, in: MMW – Fortschritte der Medizin, 156, p. 37–40.

(6) Vgl. Dr. Hutterer, Christine: „Schädel-Hirn-Traumen im Sport“, in: DZSM, Dossier der Sportmedizin, 67, URL: https://www.zeitschrift-sportmedizin.de/schaedel-hirn-traumen-im-sport/ [letzter Aufruf: 23.03.2020].

(7) Vgl. Förstl, Hans u.a. (2010): „Boxen – akute Komplikationen und Spätfolgen“, in: Deutsches Ärzteblatt, 107 (47), p. 835-839.

Wer sich für das Thema „Sport im Kindesalter“ interessiert, kann sich auch hier umschauen:

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Posted by Ann-Kathrin Fischer