Kinder- und Jugendhilfe – Geschwister-Gummi-Stiftung
„Die gesundheitliche Situation bei Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland (…) in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert.“ Das schrieb die Bundes Psychotherapeuten Kammer im Jahr 2019. So spielen Infektionskrankheiten heute nur noch eine nachrangige Rolle und psychische und psychosomatische Krankheiten gewinnen an Bedeutung. Bei Kindern und Jugendlichen sei jeder Zwanzigste von einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung betroffen. Am häufigsten sollen Störungen der Entwicklung, der Emotionalität und des Sozialverhaltens auftreten.
Themenschwerpunkte:
„Fallzahlen der psychischen Störungen steigen an“
„Generell steigen die Fallzahlen der psychischen Störungen bei
Kindern an“, sagt auch die Dipl. Psychologin Caroline Schmidt. Sie arbeitet im
psychologischen Fachdienst als Therapeutin bei der Geschwister-Gummi-Stiftung
in der Kinder- und Jugendhilfe in Kulmbach. Dafür seien auch die zunehmenden
Störungen im Familiensystem verantwortlich. „Trennungen, finanzielle
Schwierigkeiten oder zunehmender Stress durch die Arbeit beispielsweise. Das
alles wird gleichzeitig zum Risikofaktor für Kinder.“ Caroline Schmidt hat in
den vergangenen Arbeitsjahren eine eigene Theorie dafür entwickelt, warum
Familien immer häufiger mit den oben genannten Schwierigkeiten zu kämpfen
haben: „Es sind unglaublich viele soziale Netzwerke weggebrochen, zum Beispiel
die Familienverbände, die sich gegenseitig unterstützt haben. Heute gibt es zu
viel scheinsoziales Netzwerk, über die Medien oder irgendwelche Foren; das
trägt zur Verunsicherung vieler Menschen bei.“ Hinzu komme, dass „wir eine
gestresste Gesellschaft sind“. Das alles seien Risikofaktoren.
Das Zentrum für Familie und Erziehung
Das Zentrum für Familie und Erziehung der
Geschwister-Gummi-Stiftung gliedert sich in die Bereiche: Stationärer
Wohnbereich, teilstationärer Bereich der heilpädagogischen Tagesstätten und den
Bereich der ambulanten Maßnahmen. Caroline Schmidt ist überwiegend im
stationären und teilstationären Bereich tätig. Bei Kindeswohlgefährdungen
unterstützt sie außerdem die ambulanten Kräfte als psychologische Fachkraft. Im
stationären und teilstationären Bereich arbeitet sie unter anderem als
Psychotherapeutin mit den Kindern und Jugendlichen im Einzelsetting und führt
die Diagnostiken bei Kindern durch, die in den Heimen aufgenommen werden. Zudem
erstellt sie Verlaufsdiagnostiken und übernimmt koordinierende Aufgaben, wie
Teamberatung und Elterngespräche.
Insgesamt sind zirka 80 Kinder und Jugendliche in den Wohngruppen
der Geschwister-Gummi-Stiftung untergebracht. Die Altersspanne der Kinder
reicht von eineinhalb Jahren bis hin zum jungen Erwachsenenalter. Die Kleinsten
sind in einer intensivpädagogischen Wohngruppe untergebracht, die ältesten in
den Außenwohngruppen. Zusätzlich gibt es die therapeutische Wohngruppe, in der
Kinder sind, die einen höheren therapeutischen Bedarf haben und die systemtherapeutische
Wohngruppe, in der besonders intensiv mit der Familie gearbeitet wird, um die
Kinder wieder zurückzuführen.
Wie Kinder ins Heim kommen
„Es gibt zwei verschiedene Zugangsarten, wie die Kinder in
die Heime kommen“, erklärt Caroline Schmidt. Zum einen, wenn sich die Eltern
nicht mehr dazu in der Lage fühlen – dauerhaft oder vorrübergehend – ihre
Kinder angemessen zu erziehen und zu versorgen. „Sie wenden sich dann an das
örtliche Jugendamt und beantragen Hilfe zur Erziehung.“ Das Jugendamt kümmere
sich dann, gemeinsam mit den Eltern, um eine stationäre
Wohngruppenunterbringung. Bei einem Vorstellungstermin lerne die Familie dann
die Einrichtung kennen und könne sich dafür oder dagegen entscheiden. Die
zweite Zugangsart ist die Inobhutnahme. Das passiere dann, wenn die Kinder in
der Familie akut gefährdet sind. Zum Beispiel wegen emotionaler oder physischer
Vernachlässigung, Gewalt oder Missbrauch im häuslichen Umfeld. „Das kann kurzzeitig
auch gegen den Willen der Eltern stattfinden.“
Die Geschwister-Gummi-Stiftung setzt sich sehr stark dafür
ein, dass Kinder wieder in ihre Herkunftsfamilien zurückgeführt werden können.
„Wir arbeiten intensiver als andere Einrichtungen an einer Rückführung. So zum
Beispiel durch intensive Fachdienstarbeit, Geschwisterarbeit und
Elterntraining.“ Trotzdem gibt es laut Caroline Schmidt Kinder, die seit ihrer
Aufnahme als dauerhaft untergebracht gelten oder bei denen es sich im Laufe der
Zusammenarbeit mit der Familie ergeben hat, dass eine Rückführung nicht mehr
möglich ist.
Warum leben immer mehr Kinder im Heim?
Auf die Frage, ob man es gliedern könne, in die Kinder, die aufgrund der zu starken Belastung der Eltern ins Heim kommen und in die Kinder, die aufgrund ihrer eigenen psychischen Krankheit ins Heim gekommen sind, antwortet die Psychotherapeutin Caroline Schmidt: „Es geht immer darum, dass in dem ganzen Familiensystem eine Belastung da ist. Ich sehe das nicht so, dass man es in die zwei Bereiche konkret gliedern kann. Das ist ein gegenseitiges Bedingungsgefüge.“ Die Heime betreuen, laut der Psychologin, zunehmend Kinder von Eltern, die selbst psychisch krank sind und aufgrund dessen ihren Erziehungsaufgaben nicht mehr nachkommen können. Das habe Auswirkung auf die Kinder. Die Kinder wüchsen dann unter Bedingungen auf, die zur Vernachlässigung führen, die Verstörung und Traumatisierung bewirken können – und das, ohne ein wirklich feststellbares Trauma. „Bis zu 85 Prozent aller Kinder in der stationären Jugendhilfe sind traumatisiert und das überwiegend durch die Beziehung an sich, die sie zu Hause erlebt haben.“ Das seien die Kinder, die in ihrem häuslichen Umfeld, in ihren engsten Beziehungen, erlebt haben, dass Gefahr besteht, sodass sie Angst haben, nicht sicher zu sein.
Die therapeutische Arbeit
Der überwiegende Teil der traumatisierten Kinder habe Erfahrungen der Vernachlässigung und der Mangelversorgung machen müssen. „Meiner Einschätzung nach hat die emotional, psychische Vernachlässigung und Verwahrlosung enorm zugenommen.“ Dies passiere auch nicht immer absichtlich, das geschehe häufig in massiven Überforderungssituationen. Wenn Caroline Schmidt mit den Kindern therapeutisch arbeitet, stellt sie immer wieder fest: „Wir Therapeuten in der stationären Hilfe haben eine recht komfortable Situation.“ Sie habe erstmal keine Begrenzungen, was die Anzahl der Therapiestunden anbelangt. Außerdem sei die enge Vernetzung zwischen den internen Fachdiensten und den Wohngruppen von großem Vorteil. „Wir können kindorientierter arbeiten, ich kann mir Zeit mit den Kindern lassen.“ Und das brauche man auch oft, denn es gibt Kinder und Jugendliche, die ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Erwachsenen haben. „Wir möchten dann auch keinen Widerstand knacken oder eine Abwehr brechen; das Kind soll selbst Vertrauen finden, vor allem durch die Zuverlässigkeit und Vorhersehbarkeit aller Angebote.“ Das Gute sei, dass die Kinder die Therapeuten im Haus gut kennen. „Wir sind immer ansprechbar und können jederzeit erreicht werden. Das wissen die Kinder auch.“ Neben den Einzeltherapien werden zusätzlich Gruppenangebote, Stunden mit einer Kunsttherapeutin und Familientherapeutische Maßnahmen angeboten.
Eine Therapiemöglichkeit
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