Was die Apotheker auf die Barrikaden treibt

Wie viel ist Gesundheit wert? Bei weitem nicht genug, sagen deutsche Apotheker und fordern eine bessere Vergütung. Ein Jahr nach einer großen Protestaktion in Kulmbach beklagen Inhaber, politische Sprecher und Lehrer über ausbleibende Besserungen. In ihnen kocht es.

Wie viel ist Gesundheit wert? Bei weitem nicht genug, sagen deutsche Apotheker und fordern eine bessere Vergütung. Ein Jahr nach einer großen Protestaktion in Kulmbach beklagen Inhaber, politische Sprecher und Lehrer über ausbleibende Besserungen. In ihnen kocht es.

Nach sechs Jahren hat Alexandra Mergenthaler die Selbstständigkeit aufgegeben. Die Konditionen für den Betrieb hatten sich verschlechtert.

Rund 50 Menschen stehen in weißen Kitteln in der Klostergasse vor der Zentralplatz-Apotheke in Kulmbach. Sie pfeifen. Sie schwenken Schilder mit Sätzen wie: „Wir hängen uns rein. Die Regierung lässt uns hängen.“,  „Noch sind wir immer für Sie da“ und „Arzneimittelversorgung darf kein Glücksspiel sein“.

Sie alle sind Apotheker oder Pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) und demonstrieren am damaligen 14. Juni 2023 für bessere Arbeitsbedingungen. Heute, fast ein Jahr später, hat sich an der Situation nicht viel verändert. Außer für Alexandra Mergenthaler. Sie hatte 2017 die Zentralplatz-Apotheke übernommen und den Weg in die Selbstständigkeit gewagt. Doch seit 30. September 2023 ist der Laden leer. Anstelle von Medikamenten kleben nur weiße „Zu vermieten“-Pappkartons in den Schaufenstern.

Der Verkehr fließt an einem frühen Kulmbach-Morgen in der Klostergasse vorbei. Es ist laut. Die aufgehende Sonne spiegelt sich in den Schaufenstern der ehemaligen Zentralplatz-Apotheke. Anstelle von Medikamenten im Schaufenster kleben dort nur weiße „Zu vermieten“-Pappkartons. Alexandra Mergenthaler geht in flottem Schritt auf ihr ehemaliges Geschäft zu. Sie trägt einen blauen, eleganten Blazer, wirkt selbstbewusst. An die Proteste vor knapp einem Jahr kann sie sich noch gut erinnern. Die Stimmung war für sie eindeutig: „Den Apotheken-Mitarbeitern hat es gereicht. Das war klar zu merken.“

Kleine Apotheken besonders bedroht

Mit einem schweren Blick sieht sie in die leeren Regale. Der Eigentümer hat sie nicht aus dem Mietvertag entlassen, noch ist der Laden ihrer. Einst holten sich Menschen hier ihr Aspirin, Antibiotika und Analgetika, heute stehen nur noch Eimer, Kartons, Flaschen, Werbeartikel und Aufsteller unaufgeräumt herum. Der Strom funktioniert, der Laden ist hell erleuchtet. Man kann nur erahnen, wie gemütlich und einladend es in der einstigen Apotheke einmal war.

Mergenthaler ist mit ihrer Entscheidung die Apotheke aufzugeben im Reinen. „Ich habe schon irgendwann gespürt, dass es keine Zukunft mehr hat.“ Sie zählt die Ursachen für die Schließung auf: Wirtschaftlichkeit, Fachkräftemangel aber auch persönliche Gründe. „Dann kamen auch noch die Lieferengpässe hinzu.“ Sie konnte bestimmte Medikamente gar nicht mehr anbieten, andere musste sie im Vergleich zur Konkurrenz teuer einkaufen. Leicht gefallen ist ihr der Schritt nicht, sagt sie. In einem letzten Rettungsversuch hat sie Hilfe bei einem Apothekenberater gesucht.  Doch es kam dann doch nur die Schließung in Frage.

„Ich war schon gern Chefin“, sagt Mergenthaler. Und sie hätte ihre Apotheke auch gern weitergeführt. Aber am Ende war das Risiko von fehlendem Personal und zu geringen Margen einfach zu groß. Doch die Rahmenbedingungen hätten sich verändert. Die politischen Entscheidungsträger zu spät oder gar nicht reagiert.

Kaum Lohnerhöhung seit 20 Jahren

Hat Alexandra Mergenthaler Recht? Hans-Peter Hubmann ist der Bundesvorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes. Als Inhaber von Apotheken kennt er die Probleme, die Apotheker plagen: „Wir sind seit 20 Jahren von der Honorarentwicklung und von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt. Und mittlerweile sagen viele: Es lohnt sich nicht mehr.“ Die Apothekenvergütung ist in der Arzneimittelpreisverordnung festgelegt. Es wurde seit 2004 nur ein einziges Mal minimal angepasst. Gerade in Zeiten hoher Inflation sorgt dies für Unmut unter den Apothekern und Mitarbeitern. Den Gürtel schnallen viele immer enger.

Hubmann wirkt ruhig, aber ernst. Zuständig für eine Besserung der Situation wäre das Gesundheitsministerium und Karl Lauterbach. Aber dieser hat für Hubmann andere Prioritäten: „Lauterbach will die Amerikanisierung des Gesundheitswesens wo vieles bagatellisiert wird.“ Dadurch entstehe aber auch eine Zwei-Klassen-Medizin. „Eine für die, die es sich leisten können. Und eine grottenschlechte für die, die nichts haben“, sagt Hubmann.

Kundenkontakt ist wichtig und erfordert qualifiziertes Personal. Darum erteilt Hans-Peter Hubmann den Plänen für eine „Apotheke-light“ eine Absage.

Kritik an Plänen des Gesundheitsministers

Der Gesundheitsminister polarisiert. Heike Mösch ist schon seit 1996 Apothekerin. Seit 25 Jahren arbeitet sie in der Fritz-Apotheke. Sie kämpft leidenschaftlich für ihren Beruf und hat schon an mehreren Streiks teilgenommen. Für Karl Lauterbach hat sie kein gutes Wort übrig: „Wir würden uns wünschen, dass unser Gesundheitsminister endlich mal aufwacht und merkt, was in der Apotheke wirklich passiert.“

Es ist Mosch anzumerken, dass wie sehr sie sich ärgert. „Er kommt dann mit neuen Ideen. Jetzt zum Beispiel Apotheke-light. Aber das verursacht noch höhere Kosten.“ Überhaupt sei diese Idee ein Widerspruch zum Prinzip in jeder Apotheke ein Apotheker.“ Mosche erklärt den Begriff, dass in diesen Filialen keine Rezepturen mehr hergestellt werden. Sie würden von einer PTA betreut. Ein Apotheker ist höchstens zur Beratung über Telefon oder Mail erreichbar.

Ihre Sprache wird schneller, sie kommt in Rage. Mit ihren Händen beginnt sie wedeln. „Es soll telematisch überwacht werden. Ich frage mich immer noch, was der Begriff bedeutet. Es muss am Ende wieder ein Apotheker kontrolliere. Ich verstehe nicht, was daran light sein soll.“

Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant verstärkt auf Telepharmazie zu setzen. Demnach soll es Hautapotheken mit mehreren Filialapotheken geben. Ein Apotheker würde von der Hauptapotheke aus die Filialapotheken aus der Ferne, also telematisch, überwachen. Bundessprecher Hubmann erteilt dem eine Absage: „Das ist ein Skandal. In keinem europäischen Land gibt es Apotheken ohne Apotheker. Genauso gut könnte ich Politik ohne Politiker machen.“ Eine Anspielung auf Politiker Lauterbach.

Die Fritz-Apotheke liegt im Kulmbacher Einkaufszentrum. Es wird 12 Uhr, die Menschen haben Mittagspause. Viele holen sich an der Promenade etwas zu Essen, kommen dabei an der Apotheke vorbei. Dementsprechend ist sie gut besucht. Als Mösch redet, hören ihr einige Kunden zu. Sie erntet Nicken. Öffentlich will aber keiner was sagen.

PTA verliert „Fight for Talents“

Idyllisch in der Altstadt von Kulmbach liegt der Langheimer Amtshof. In dem über 400 Jahre alten barocken Prachtbau ist die PTA-Schule untergebracht. Mit Hofmauern, den weiten Gemäuern und der Steinbauweise wirkt es wie aus einem Märchenbuch. Die Schüler nennen es auch gerne „Das Hogwarts für PTA“.

Edgar Gräf ist der Schulleiter. Er wirkt freundlich. Mit Spitzhut und weißem Bart könnte er als Albus Dumbledore von Kulmbach durchgehen. Gräf spricht langsam und heiser. Sein fränkischer Akzent fällt deutlich auf.

Pro Jahr bildet die PTA-Schule 100 Schüler in zwei Jahrgangsstufen aus. Aber in den vergangenen Jahren sind die Bewerberzahlen rückläufig. „Wir befinden uns längst im Fight for Talents“, sagt Gräf. Geburtenschwache Jahrgänge und Fachkräftemangel haben eine Konkurrenzsituation um Auszubildende verursacht. Und die PTA scheint den Kampf zu verlieren.

Edgar Gräf ist Schulleiter an der PTA-Schule. Die Bewerberzahlen der vergangenen Jahre sind rückläufig.

Die Schulausbildung dauert zwei Jahre. In dieser Zeit bekommen die Schüler keine Vergütung. In Kombination mit der lange nicht erhöhten Entlohnung für pharmazeutisch-technische Assistenten verliert der Beruf an Attraktivität.

Gräf spricht ohnehin sehr langsam aber diese Sätze betont er ganz besonders: „Konkret helfen würde eine Ausbildungsvergütung für PTAs. Dieser Mangel muss endlich weg.“ Junge Menschen würden sich sonst anderen Zweigen als der öffentlichen Apotheke oder gar ganz anderen Branchen zuwenden. Die Folge wäre eine Verschärfung des Fachkräftemangels. Gräf hatte kürzlich einen besonderen Auftritt: In Berlin war er im Gesundheitsausschuss eingeladen, um über die Situation an Apotheken und insbesondere in der Ausbildung zu reden. Viele Fragen, je drei Minuten Zeit zu antworten. Sichtlich stolz berichtet der Schulleiter von der Einladung. Durchaus konstruktiv waren Fragen und Gespräche für ihn.

Egal ob Bundessprecher, Apothekenangestellte, Inhaber oder Lehrer: Sie alle fordern Reformen, eine Verbesserung der Bedingungen. Gerade am Land droht ein Apotheken-Sterben. Mergenthaler hofft, dass die Politik die Probleme erkennt und einlenkt. Sonst könnten bald in noch mehr Apotheken „Zu vermieten“-Schilder anstelle von Medikamenten hängen.

Posted by Stefan Neidl