Auf Stippvisite im Mehrgenerationenhaus
Elsbeth Oberhammer lädt herzlich ein.
Kulmbach. Das Janosch-Motiv im Eingangsbereich wirkt wie ein Versprechen. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Figuren strebt einem Zufluchtsort zu. Ihr Ziel könnte auch das Mehrgenerationenhaus sein. Die Einrichtung ist Schutzhöhle und Unterschlupf für Gestrandete. Momentaufnahmen von einer Insel inmitten eines Meeres aus sozialer Kälte.
Elsbeth Oberhammer öffnet schwungvoll die gigantische Holztür. Ihr strahlendes Lächeln korrespondiert mit der freundlichen Atmosphäre in der Einrichtung. Das bedeutet aber nicht, dass die Leiterin keine Sorgen plagen würden. „Man braucht starke Nerven und Gelassenheit in diesen Zeiten“, sagt sie eher beiläufig. Oberhammer sitzt im Café des Mehrgenerationenhauses in Kulmbach. Ein Projekt, das zu einer Institution für all jene wurde, die in ihrem Alltag kämpfen müssen. Um Anerkennung. Unterstützung. Anschluss. Schlicht um ein Stück Menschlichkeit.
Für diese Menschen bietet die Einrichtung ein bisschen Heimat. Sie ist Familientreff, Sprachschule, Sporthalle, Second-Hand-Laden und Kreativ-Atelier in einem. Seit sechs Jahren hält Oberhammer das Haus zusammen. Und mit diesem die Besucher, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Rentner. Kinder. Geflüchtete. Einsame und Vernachlässigte. Vergessene und Gestrandete.
Die Chefin hat Spaß an ihrer Arbeit. Immer wieder lässt sie das durchblicken. Dennoch hätte sie Anlass, sich den Kopf zu zerbrechen. Gerade jetzt, in diesen schrecklichen Pandemie-Zeiten. Einige der Menschen, die hier Unterstützung erhalten, sind nicht geimpft. Sie können deshalb nur eingeschränkt an den Angeboten teilnehmen. Auch Oberhammer hat Mühe, den Überblick zu behalten. Denn die Corona-Regeln ändern sich fast täglich. Oft herrscht Unsicherheit, ob das Mehrgenerationenhaus noch in der Form öffnen darf, wie es vor der Pandemie möglich war.
Dennoch schlagen sich die Ehrenamtlichen Seite an Seite mit ihrer Leiterin durch die Krise und die oft unklaren Bestimmungen. Besonders Geflüchtete sind schließlich nach wie vor auf Sprachkurse und Betreuungsangebote angewiesen. Die Pandemie setzt der Einsamkeit von Rentnern kein Ende, sondern verstärkt diese sogar noch. Deshalb bieten Second-Hand-Shop und Werkstatt gerade jetzt Zuflucht für diese Menschen.
Das Tolle ist, dass man hier für die Gemeinschaft arbeiten und zugleich eigene Projekte umsetzen kann.
Hole Rößler, Mitarbeiter der Werkstatt
Hole Rößler nutzt seit vielen Jahren die Kreativ-Werkstatt. „Das Tolle ist, dass man hier für die Gemeinschaft arbeiten und zugleich eigene Projekte umsetzen kann“. Rößler und seine Kollegen bauen beispielsweise Schuhschränke für die Diakonie oder kleine dekorative Holzfiguren, die im Familientreff für wenig Geld verkauft werden. Stolz zeigt er ein Miniatur-Klavier, an dem er gerade werkelt. „Es ist ein Mitbringsel für ein Konzert, zu dem wir eingeladen sind. Die Pianisten bekommen kein Geld, daher wollte ich ihnen als Dank ein kleines Klavier aus Holz basteln.“
Die Kreativ-Werkstatt liegt im Keller des Gebäudes. Dort arbeiten Rentner und Jugendliche. Für die Profi-Werkstatt nebenan ist eine Sicherheitsunterweisung notwendig. Bei Arbeiten mit der Stich- oder Kreissäge guckt immer ein erfahrenerer Handwerker den Neulingen über die Schulter. Nebenan ein großer Raum voller Holzschränke und Mal-Utensilien. Aquarell- und Öl-Farben, Bunt- und Gelstifte, Pappe und farbiges Papier.
Wer nicht zu Bastlern zählt, kann beispielsweise den Second-Hand-Shop ehrenamtlich unterstützen. Hier nehmen die Damen gebrauchte Kleidung, Spielzeug und Kinderwagen an. Sie waschen und etikettieren die Ware, sortieren sie ein und verkaufen sie anschließend preiswert. Zunächst lag der Fokus auf den billigen Preisen. Inzwischen steht Nachhaltigkeit im Vordergrund. Das beobachtet Sibylle Gack. Sie hilft jeden Mittwoch im Shop aus. „Mein Mann ist gestorben, und ich habe mich zuhause gelangweilt. Ich wollte einfach wieder unter Leute. Dann bin ich hier hergekommen. Das Haus war voller Leben, und da habe sofort gewusst: Hier bin ich zuhause.“
Gerade Kinder kommen oft hierher. Sie berichten darüber, was sie erlebt haben. Und freuen sich selbstverständlich über die große Auswahl an Spielsachen. Gack berichtet, dass gut erhaltene Klamotten meist noch am Ankunftstag direkt wieder über die Ladentheke gehen. Inzwischen können die Frauen gar nicht mehr alle Spenden annehmen und unterbringen. Die vier Räume im zweiten Stock reichen bei weitem nicht mehr aus. Was im Mehrgenerationenhaus übrig bleibt, wird an die Diakonie oder zur Kleiderspende weitergegeben. So schließt sich die nachhaltige Kette.
Mir macht es Spaß mit den Frauen zu sprechen, ihre Probleme zu hören und sie zu unterstützen.
Bettina Will, ehrenamtliche Sprachpatin
Bettina Will kann ihrer Leidenschaft, zu unterrichten, auch nach ihrer Pensionierung weiter nachgehen. Als Patin bringt sie geflüchteten Frauen die deutsche Sprache bei. Verständnis-Barrieren gebe es eigentlich nie: „Wenn ich mal was nicht weiß, tippen wir es einfach ins Handy“. Aysha Mamo schwärmt von dem Kochabend, den die Frauen zusammen mit Bettina veranstaltet haben. Sie tischten traditionelle Gerichte aus ihren Heimatländern auf. „Hier ist es gut. Hierher kann ich immer mit meiner Tochter kommen und erhalte Hilfe.“
Jedes Mal gibt es viele Fragen zu beantworten. Zur Agentur für Arbeit. Bei rechtlichen Konflikten. Bei Schulproblemen der Kinder. Sprachpatinnen wie Bettina Will unterstützen die Frauen, wo immer sie nur können. Die Frauengruppe. Das ist für Elsbeth Oberhammer ein wichtiges Stichwort. Ihre Herzensangelegenheit sozusagen. „Ich empfinde meine Frauengruppe als sehr bereichernd, weil sie auch meinen Horizont immer wieder erweitert.“ Frauen wissen die Atmosphäre im Mehrgenerationenhaus besonders zu schätzen. Sie sind endlich angekommen. Auf der Insel der Vergessenen.