Jennifer Schnell

Die Insel der Vergessenen

Die Insel der Vergessenen

Auf Stippvisite im Mehrgenerationenhaus

Elsbeth Oberhammer lädt herzlich ein.


Kulmbach. Das Janosch-Motiv im Eingangsbereich wirkt wie ein Versprechen. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Figuren strebt einem Zufluchtsort zu. Ihr Ziel könnte auch das  Mehrgenerationenhaus sein. Die Einrichtung ist Schutzhöhle und Unterschlupf für Gestrandete. Momentaufnahmen von einer Insel inmitten eines Meeres aus sozialer Kälte.

Elsbeth Oberhammer öffnet schwungvoll die gigantische Holztür. Ihr strahlendes Lächeln korrespondiert mit der freundlichen Atmosphäre in der Einrichtung. Das bedeutet aber nicht, dass die Leiterin keine Sorgen plagen würden. „Man braucht starke Nerven und Gelassenheit in diesen Zeiten“, sagt sie eher beiläufig. Oberhammer sitzt im Café des Mehrgenerationenhauses in Kulmbach. Ein Projekt, das zu einer Institution für all jene wurde, die in ihrem Alltag kämpfen müssen. Um Anerkennung. Unterstützung. Anschluss. Schlicht um ein Stück Menschlichkeit.

Für diese Menschen bietet die Einrichtung ein bisschen Heimat. Sie ist Familientreff, Sprachschule, Sporthalle, Second-Hand-Laden und Kreativ-Atelier in einem. Seit sechs Jahren hält Oberhammer das Haus zusammen. Und mit diesem die Besucher, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Rentner. Kinder. Geflüchtete. Einsame und Vernachlässigte. Vergessene und Gestrandete.

Die Chefin hat Spaß an ihrer Arbeit. Immer wieder lässt sie das durchblicken. Dennoch hätte sie Anlass, sich den Kopf zu zerbrechen. Gerade jetzt, in diesen schrecklichen Pandemie-Zeiten. Einige der Menschen, die hier Unterstützung erhalten, sind nicht geimpft. Sie können deshalb nur eingeschränkt an den Angeboten teilnehmen. Auch Oberhammer hat Mühe, den Überblick zu behalten. Denn die Corona-Regeln ändern sich fast täglich. Oft herrscht Unsicherheit, ob das Mehrgenerationenhaus noch in der Form öffnen darf, wie es vor der Pandemie möglich war. 

Dennoch schlagen sich die Ehrenamtlichen Seite an Seite mit ihrer Leiterin durch die Krise und die oft unklaren Bestimmungen. Besonders Geflüchtete sind schließlich nach wie vor auf Sprachkurse und Betreuungsangebote angewiesen. Die Pandemie setzt der Einsamkeit von Rentnern kein Ende, sondern verstärkt diese sogar noch. Deshalb bieten Second-Hand-Shop und Werkstatt gerade jetzt Zuflucht für diese Menschen.

Hole Rößler in der Werkstatt für Senioren und Jugendliche

Das Tolle ist, dass man hier für die Gemeinschaft arbeiten und zugleich eigene Projekte umsetzen kann.

Hole Rößler, Mitarbeiter der Werkstatt

Hole Rößler nutzt seit vielen Jahren die Kreativ-Werkstatt. „Das Tolle ist, dass man hier für die Gemeinschaft arbeiten und zugleich eigene Projekte umsetzen kann“. Rößler und seine Kollegen bauen beispielsweise Schuhschränke für die Diakonie oder kleine dekorative Holzfiguren, die im Familientreff für wenig Geld verkauft werden. Stolz zeigt er ein Miniatur-Klavier, an dem er gerade werkelt. „Es ist ein Mitbringsel für ein Konzert, zu dem wir eingeladen sind. Die Pianisten bekommen kein Geld, daher wollte ich ihnen als Dank ein kleines Klavier aus Holz basteln.“

Die Kreativ-Werkstatt liegt im Keller des Gebäudes. Dort arbeiten Rentner und Jugendliche. Für die Profi-Werkstatt nebenan ist eine Sicherheitsunterweisung notwendig. Bei Arbeiten mit der Stich- oder Kreissäge guckt immer ein erfahrenerer Handwerker den Neulingen über die Schulter. Nebenan ein großer Raum voller Holzschränke und Mal-Utensilien. Aquarell- und Öl-Farben, Bunt- und Gelstifte, Pappe und farbiges Papier. 

Im Second-Hand-Shop „KuKaTZ“ finden Eltern auch Kinderklamotten

Wer nicht zu Bastlern zählt, kann beispielsweise den Second-Hand-Shop ehrenamtlich unterstützen. Hier nehmen die Damen gebrauchte Kleidung,  Spielzeug und Kinderwagen an. Sie waschen und etikettieren die Ware, sortieren sie ein und verkaufen sie anschließend preiswert. Zunächst lag der Fokus auf den billigen Preisen. Inzwischen steht Nachhaltigkeit im Vordergrund. Das beobachtet Sibylle Gack. Sie hilft jeden Mittwoch im Shop aus. „Mein Mann ist gestorben, und ich habe mich zuhause gelangweilt. Ich wollte einfach wieder unter Leute. Dann bin ich hier hergekommen. Das Haus war voller Leben, und da habe sofort gewusst: Hier bin ich zuhause.“ 

Gerade Kinder kommen oft hierher. Sie berichten darüber, was sie erlebt haben. Und freuen sich selbstverständlich über die große Auswahl an Spielsachen. Gack berichtet, dass gut erhaltene Klamotten meist noch am Ankunftstag direkt wieder über die Ladentheke gehen. Inzwischen können die Frauen gar nicht mehr alle Spenden annehmen und unterbringen. Die vier Räume im zweiten Stock reichen bei weitem nicht mehr aus. Was im Mehrgenerationenhaus übrig bleibt, wird an die Diakonie oder zur Kleiderspende weitergegeben. So schließt sich die nachhaltige Kette. 

Mir macht es Spaß mit den Frauen zu sprechen, ihre Probleme zu hören und sie zu unterstützen.

Bettina Will, ehrenamtliche Sprachpatin

Bettina Will (zweite von links) genießt die gemeinsamen Treffen

Bettina Will kann ihrer Leidenschaft, zu unterrichten, auch nach ihrer Pensionierung weiter nachgehen. Als Patin bringt sie geflüchteten Frauen die deutsche Sprache bei. Verständnis-Barrieren gebe es eigentlich nie: „Wenn ich mal was nicht weiß, tippen wir es einfach ins Handy“. Aysha Mamo schwärmt von dem Kochabend, den die Frauen zusammen mit Bettina veranstaltet haben. Sie tischten traditionelle Gerichte aus ihren Heimatländern auf. „Hier ist es gut. Hierher kann ich immer  mit meiner Tochter kommen und erhalte Hilfe.“

Jedes Mal gibt es viele Fragen zu beantworten. Zur Agentur für Arbeit. Bei rechtlichen Konflikten. Bei Schulproblemen der Kinder. Sprachpatinnen wie Bettina Will unterstützen die Frauen, wo immer sie nur können. Die Frauengruppe. Das ist für Elsbeth Oberhammer ein wichtiges Stichwort. Ihre Herzensangelegenheit sozusagen. „Ich empfinde meine Frauengruppe als sehr bereichernd, weil sie auch meinen Horizont immer wieder erweitert.“ Frauen wissen die Atmosphäre im Mehrgenerationenhaus besonders zu schätzen. Sie sind endlich angekommen. Auf der Insel der Vergessenen.

Elsbeth Oberhammer unterstützt den Sprachkurs

Posted by Jennifer Schnell in Arbeit & Leben, Jennifer Schnell, Unser Oberfranken
Im Familientreff werden Wünsche wahr

Im Familientreff werden Wünsche wahr

Mehrgenerationenhaus

Das Mehrgenerationenhaus in Kulmbach bietet auf vier Stockwerken viel Platz für Kinder und Erwachsende.

Kulmbach. Weihnachten verbinden viele Kinder mit Geschenken unterm Tannenbaum. Doch manche müssen darauf verzichten. Weil die Familie in schwierigen sozialen Verhältnissen lebt. Initiativen wie die jährliche Wunschzettel-Aktion der Geschwister-Gummi-Stiftung und der Diakonie sind deshalb besonders wichtig. Auch in diesem Jahr lassen sich dank Spenden viele  Wünsche erfüllen. 

Die Geschwister-Gummi-Stiftung setzt sich seit über 150 Jahren für das Wohl von Kindern, Jugendlichen und Familien ein. Zu den richtungsweisenden Projekten zählt der Familientreff im Kulmbacher Mehrgenerationenhaus. Zum Angebot gehören ein kinderfreundliches Café, Elternkurse, Mütterzentrum und Sportveranstaltungen. Erwachsene haben die Möglichkeit, sich über Erziehungsthemen auszutauschen. Rentner und Jugendliche können in der Werkstatt Ideen umsetzen oder im Second-Hand-Shop mitarbeiten. So entstehen Chancen für generationenübergreifende Dialoge. Gespräche über Kenntnisse, Erfahrungen und Lebensfragen.

Kinder finden in den Wohngruppen vorübergehend ein Zuhause, wenn es in der Familie zu Konfliktsituationen kommt. Das Ziel: Sie sollen sich gesund und behütet entwickeln können; idealerweise entstehen daraus sichere Bindungen. Die Wohngruppen erfüllen die Aufgabe, für Kinder in belastenden und dramatischen Lebenslagen eine beschützende Atmosphäre zu schaffen. Fachpersonal begleitet diesen Prozess mit Krisenintervention, Diagnostik, individueller Therapie und Perspektivenförderung. Langfristig soll die Bindung zwischen Kindern und Eltern stabil und verlässlich werden, ein Zusammenleben wieder möglich sein. 

Highlights der letzten Jahre im Mehrgenerationenhaus

Auch Hort, Ganztagsschule und Mittagsbetreuung zählen zum Angebot der Geschwister-Gummi-Stiftung. Bildung, Betreuung und Erziehung stehen im Fokus. Soziale Fachkräfte hören den Schülern zu. Sie spielen mit ihnen, nehmen die Bedürfnisse der jungen Menschen ernst und begleiten sie in ihrem Alltag. Hausaufgaben-Hilfe, Naturerlebnisse, Musik- und Sportunterricht – jedes Kind soll individuell die passende Beschäftigung finden. Auch in den Ferien. 

Für die Umsetzung der sozialen Projekte sind die Initiatoren auf Spenden aus der Bevölkerung angewiesen. Noch bedeutender: staatliche Förderung. Diese wurde Anfang des Jahres für acht weitere Jahre genehmigt. Das neue „Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus. Miteinander – Füreinander“ stützt das Projekt mit jährlich 40.000 Euro. Eine Bestätigung für das Konzept des Mehrgenerationenhauses.  

„Wir unterstützen unsere Familien, Alleinstehende, Paare, jüngere und ältere Menschen. So gut es geht, damit wir alle gestärkt aus dieser Zeit herauskommen, um dann wieder neu durchzustarten“

Elsbeth Oberhammer, Leiterin des Familientreffs, ist optimistisch, trotz der pandemiebedingten Probleme während der vergangenen zwei Jahre. Bundesweit gibt es über 530 vergleichbare Einrichtungen. Zu ihren Befürworterinnen zählt die ehemalige Bundesfamilienministerin Franziska Giffey: 

 „Die Mehrgenerationenhäuser sollen dazu beitragen, gute Entwicklungschancen und faire Teilhabemöglichkeiten zu schaffen – für alle Menschen, die in Deutschland leben. Gleichwertige und bessere Lebensverhältnisse fangen im Konkreten mit der Begegnung von Menschen an.“ 

Ein Projekt der Senioren-Werkstatt: Die Krippe für den Innenhof
Bücher-Station im Familientreff

Posted by Jennifer Schnell in Arbeit & Leben, Jennifer Schnell, Unser Oberfranken
Ein soziales Projekt im Kampf gegen die Bürokratie

Ein soziales Projekt im Kampf gegen die Bürokratie

Das Mehrgenerationenhaus in Kulmbach ist ein Segen für die ganze Region. Vorbildlich kombiniert die Einrichtung Kinderbetreuung, Integration und Angebote für Senioren. Beispielgebend. Richtungsweisend. Ganzheitlich. Doch die Förderung lässt zu wünschen übrig. Was der Leiterin die Arbeit erschwert: Ein Wust an Bürokratie, zu wenig Geld, zu viele unklare Regeln. Fast jeder Antrag gleicht einer wissenschaftlichen Arbeit. Das muss sich deutlich bessern. 

Dabei hat dieses Projekt so viel Nutzen und Mehrwert für gesellschaftliche Randgruppen zu bieten. Ehrenamtliche Sprachpaten unterstützen Geflüchtete bei Alltagsfragen. Sie helfen bei schulischen Angelegenheiten, bereiten auf Deutschprüfungen vor oder telefonieren mit Ämtern und potenziellen Arbeitgebern. Die Liste ließe sich endlos fortführen.

Kurzum: Von dem, was die Kulmbacher Institution leistet, profitieren viele benachteiligte Menschen. Das Klima dort wirkt herzlich und eröffnet Perspektiven. Die geflüchteten Frauen fühlen sich sichtlich wohl in der vertrauten Atmosphäre mit den Sprachpaten. Ein weiterer Vorteil: Ihre Kinder werden nicht als störend empfunden, sondern sind willkommen. So gelingt Integration. 

Das Konzept bietet einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen. Das sollten staatliche Stellen auch angemessen honorieren. Mit einer Förderung, die für die Aufgaben ausreicht. Vor allem gilt es, die Anträge zu vereinfachen.

Laut einer bundesweiten Umfrage unter ehrenamtlichen Kräften vergeuden diese rund zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie. Auch die Datenschutz-Grundverordnung hat zusätzlichen Aufwand erzeugt.

In Summe eine Zumutung. Demotivierend. Nervig. Zeitraubend.

Ist es nicht so, dass die vormalige Große Koalition sich die Stärkung der Zivilgesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hatte? Die Realität: Für Initiatoren ist es oft schwer zu durchschauen, ob sie ihre Förderung auf Länder- oder Bundesebene beantragen müssen. Besser wäre eine große bundesweite Förderung, auf die alle sozialen Projekte Anspruch haben. Zudem ist das Mehrgenerationenhaus auf Spenden angewiesen. Von den Fördergeldern allein würde sich das Projekt nicht tragen. Daher muss der Bund ein deutlich größeres Fördervolumen bereitstellen und den Verwaltungsaufwand deutlich reduzieren. Nur dann werden mehr solcher Projekte entstehen. Und nur dann können davon mehr benachteiligte Menschen profitieren. Für die künftige Ampelkoalition sollte dies zur Pflichtaufgabe werden.

Ordner voll bürokratischer Pflichtaufgaben


Posted by Jennifer Schnell in Arbeit & Leben, Jennifer Schnell, Unser Oberfranken
„Ich empfinde die Vielfalt der Menschen als bereichernd“

„Ich empfinde die Vielfalt der Menschen als bereichernd“

Das ausführliche Interview mit Elsbeth Oberhammer gibt’s hier im Podcast.

Im Mehrgenerationenhaus Kulmbach begegnen sich Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Die Geschwister-Gummi Stiftung hat das für die Region beispielgebende Projekt initiiert. Auch nach sechs Jahren als Leiterin der Einrichtung, gibt es noch Momente, die Elsbeth Oberhammer begeistern.

In welchen Momenten sind Sie besonders dankbar für Ihren Beruf?

Wenn ich zum Beispiel mit meiner Freundin Ikram [Besucherin des Mehrgenerationenhauses, Anmerkung der Redaktion] im Schnee spazieren gehe und sie sich so darüber freut, wie sehr der Schnee glitzert. Das ist einfach schön!

Waren Gemeinschaftserlebnisse wie dieses schon immer der Kern der Geschwister-Gummi-Stiftung?

Die Geschwister Gummi haben vor etwa 150 Jahren eine Stiftung zur Pflege von evangelischen Waisenkindern gegründet. Das erste evangelische Waisenhaus stand auch tatsächlich am Holzmarkt in Kulmbach und musste nach einigen Jahren erweitert werden. 1907 konnte dieses Haus hier eröffnet und bezogen werden. Damals auf der grünen Wiese vor den Toren der Stadt. 

Jetzt sind wir natürlich mittendrin! Vor etwa 25 Jahren ist das Kinderheim dann hier ausgezogen, weil die Bestimmungen sich verändert haben. Dadurch wurde Platz für neue Ideen. 

Wie hat sich das Projekt weiterentwickelt?

Wir wollten wieder was für Familien und Kinder verwirklichen. Also starteten wir mit dem familienfreundlichen Café. Hier treffen sich junge Familien und Mütter, um sich auszutauschen. Die Kinder können hier krabbeln, spielen und laut sein – und niemand stört sich daran. Und dann sind nach und nach die anderen Angebote ins Haus eingezogen. 

Welche sind das konkret?

Wir haben für viele Generationen ein Angebot. Wer handwerklich begeistert ist, gerne einen aktiven Ruhestand genießen möchte, kann sich in unserer professionell ausgestatteten Schreinerwerkstatt engagieren. Oder einen Schnitzkurs besuchen, sich von unseren Profis was zeigen lassen. Alle Werkstatt-Mitarbeiter basteln und werkeln regelmäßig – aktuell für unseren Weihnachtsmarkt zum Beispiel. 

In unserem Fairtrade-Café kommt man bei Kaffee und Kuchen gut miteinander ins Gespräch. Auch ehrenamtliches Engagement ist hier möglich: Als Sprachpate, Lernpate oder in unserem KuKaTz-Secondhand-Laden. Dort gibt es Babyausstattung, Spielsachen oder auch Klamotten für Kinder und Erwachsene zu einem kleinen Preis.   

Und im zweiten Stock ist unser Bildungsangebot. Musikgruppen für Kinder und für Mütter Sprach- und Sportkurse, wie etwa Pilates oder Rückbildung. Insgesamt ist also für jeden was dabei!

Elsbeth Oberhammer im Café des Mehrgenerationenhauses

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Mehrgenerationenhaus?

Meinen Auftrag sehe ich darin, für junge Familien ein adäquates Angebot zusammenzustellen und immer im Blick zu haben: Was brauchen unsere Familien im Moment? Das ist sehr spannend, weil sich das ständig verändert. 

Der andere Schwerpunkt dieses Hauses speziell ist das Thema Migration, Arbeit mit Geflüchteten. Da gibt es die Sprachpaten-Angebote und die Frauengruppe. Hier treffen sich arabische Frauen seit mehreren Jahren und sind unglaublich aktiv. Damit konnten wir einen guten Beitrag leisten, dass die Frauen und ihre Familien sich gut hier integrieren konnten. 

Nun gibt es ja leider immer wieder kritische Stimmen aus der Bevölkerung, was die geflüchteten Menschen angeht. Was entgegnen Sie diesen Kritikern?

Ich würde ihnen mitgeben, dass wir uns an unsere eigene deutsche Geschichte erinnern. Auch bei uns gibt es viele Menschen mit Fluchterfahrungen. Unser Besuch im Seniorenheim fand ich sehr beeindruckend. Die Senioren und Seniorinnen haben dort sehr bewegt von ihren eigenen Fluchterfahrungen erzählt und zu den geflüchteten Frauen gesagt: „Wir wissen, wie’s euch geht.“ Ich denke das tut unserer mittleren und jüngeren Generation ganz gut, da mal auf die eigenen Großeltern zu hören, die haben da manchmal mehr Empathie. 

Wenn man sieht, welchen Weg die Geflüchteten genommen haben und wie gut sie sich integriert haben, dann macht das Mut. Wir dürfen sie nicht alleine lassen. Müssen sie gut begleiten. Unsere Welt erklären. Und nicht voraussetzen, dass unsere Welt sich selbst erklärt.

Und es ist eine Chance! Bei uns fehlen so viele Arbeitskräfte. Da sage ich: Die Geflüchteten kommen doch wie gerufen. Wir brauchen sie ganz einfach. 

Ihr Beruf klingt wahnsinnig komplex. Bei all den unterschiedlichen Projekten, wie motivieren Sie sich täglich aufs Neue?

Ich empfinde die Vielfalt der Menschen hier als sehr bereichernd. Die engagierten Ehrenamtlichen, die Arbeit mit älteren Menschen, zu sehen, dass ich einer jungen geflüchteten Familie weiterhelfen konnte. Das erweitert meinen Horizont immer wieder. 

Oder die Selbsthilfegruppen. Seit einigen Jahren treffen sich hier Eltern von Kindern mit Autismus-Asperger-Syndrom oder anderen Beeinträchtigungen. Den Perspektivwechsel von der Seite der Erzieherin zum Blickwinkel der Betroffenen finde ich wahnsinnig wertvoll. Zu sehen mit welchen Hindernissen und Vorurteilen die Familien zu kämpfen haben, konnte ich mir zuvor nur schwer vorstellen. Und da auch mitzuhelfen, dass bei Institutionen, Einrichtungen und Behörden mal mehr der Gedanke entsteht: Wir sind eigentlich dafür da die Familien zu unterstützen, ihnen zu helfen. Und nicht zusätzliche Hürden aufzubauen und die Familien als Bittsteller kommen zu lassen.  

Welche Hürden werden den Familien da beispielsweise gestellt?

Eine Familie mit einem an Trisomie 21 erkrankten Kind musste etwa jährlich einen Bogen ausfüllen, dass diese Behinderung noch besteht. Das ist fast beleidigend für die Familie, denn sie wünschen sich ja nichts sehnlicher, als dass sich die Erkrankung einfach in Luft auflöst. Oder die Einrichtungen und Schulen lassen durchblicken, dass das Kind sehr anstrengend für den eigenen Betrieb ist. Statt zu fragen „Was braucht ihr von uns? Wie können wir euch helfen?“, wird kommuniziert „Das erwarte ich von Ihnen.“ Ich wünsche mir wirklich, dass es da in vielen Köpfen noch ein Umdenken gibt.


Posted by Jennifer Schnell in Arbeit & Leben, Jennifer Schnell, Unser Oberfranken