Bamberg

Waldkindergarten in Bamberg

Waldkindergarten in Bamberg

Die Heimat des Kindergartens ist der Bruderwald

Zunächst einmal sei ein Waldkindergarten ein ganz normaler Kindergarten, erklärt Diplom-Pädagogin Stefanie Baumann, Leiterin der Einrichtung. Auch er sei an das bayrische Kindertagesstättengesetz gebunden. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Kinder mit ihren ErzieherInnen eben täglich und bei jedem Wetter draußen im Wald unterwegs sind. Bei „Die kleinen Waldschrate e.V.“ handle es sich um einen „kleinen, familiären Verein“, erzählt sie weiter, der sich anfallende Aufgaben teilt. Wie die meisten Einrichtungen dieser Art besitzen auch „Die Kleinen Waldschrate e.V.“ eine Hütte, in die sie sich bei Regen zurückziehen können. Sie liegt im Bruderwald verborgen zwischen dem Naturwaldreservat „Wolfsruhe“ und dem Klinikum Bamberg.

Der Kindergarten-Alltag

Jeden Morgen läuft die heute 20-köpfige Kindergruppe mit ihren Erziehern den 1,5 km langen Weg vom Eingang des Waldes bis zu der kleinen Lichtung, auf der sich die Hütte befindet. Diese ist bereits vom eingebauten Ofen vorgeheizt, wenn die Kinder nach einstündiger Wanderung zum Frühstück erscheinen. Dann gibt es eine Brotzeit mit Nüssen oder Trockenfrüchten und je nach Jahreszeit auch saisonales Obst und Gemüse.

Die Stromversorgung der Hütte wird durch Solarpanels auf dem Dach gesichert, die eine ausreichende Beleuchtung gewährleisten. „Wir möchten Umwelterziehung auch vorleben“, erklärt Stefanie Baumann. Deshalb wird bei der Wasserversorgung auf Kanister zurückgegriffen, für Wärme sorgt der zentrale Ofen und auf Plastik wird weitestgehend verzichtet. „Weniger kann manchmal mehr sein“, sagt sie. Und dies gilt auch beim Spielen: Wer braucht schon Lego, wenn er mit echten Steinen spielen kann? Wozu Plastikschwerter, wenn es auch mit Stöcken geht? In und in unmittelbarer Nähe der Hütte filzen, schnitzen und basteln die „kleinen Waldschrate“ unter Anleitung.

Über die Verbindung zur Natur

Die Lebenssituation von Kindern sieht heute oft anders aus. Für viele ist sie bestimmt von Reizüberflutung, Bewegungsmangel, funktionellem Spielzeug und geregeltem Freizeitangebot.1 Wald- und Naturkindergärten möchten diesen Umständen mit erlebnis- und beschäftigungsspezifischen Anreizen entgegenwirken.

Dass die Kleinen im Kindergarten keine vorgefertigten Spielwaren vorfinden, fördert in diesem Sinne ihre Kreativität. Auch sind sie so gezwungen, sich untereinander abzusprechen, was die Sozialkompetenzen des Einzelnen und der Gruppe verbessert. Gruppenzugehörigkeit kann wiederum zu einer entspannten Lernatmosphäre beitragen. In einer Zeit, in der viel von „Mobbing“ und „Ellenbogen-Einsatz“ geredet wird, werden diese sozialen Ansätze immer wichtiger.1 „Wir sind ja keine autarken Lebewesen“, verdeutlicht Stefanie Baumann, „wir sind Teil dieser Erde und ich glaube, es ist wichtig, dass wir mit und nicht ohne Mutter Natur aufwachsen“.

Umweltbewusstes Denken ist heute mehr denn je gefragt – doch ist Grundlage dafür, dass man die Natur auch kennt. In diesem Sinn jedenfalls hält Hartmut von Hentig fest: „Wenn ein Kind nie einen Samen gesät, die daraus entstehende Pflanze entdeckt und gehegt hat, wenn es nie einen Baum bestiegen, nie einen Bach gestaut, nie ein gefährdendes Feuer gemacht hat … – wie soll ihm die Erhaltung der Arten, das ökologische Gleichgewicht, die ‚Natur‘, diese ungeheuerlichste Abstraktion aller Abstraktionen, am Herzen liegen“ 2.

Entdeckergeist schulen

Die Erzieher des Waldkindergartens lassen ihre Schützlinge diese „ungeheuerlichste Abstraktion“2 weitgehend selbständig erforschen und entdecken. Darin folgt das pädagogische Konzept den Erkenntnissen des Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther, der ideale Lernbedingungen dann gegeben sieht, wenn Kinder ihre angeborene Lust am Entdecken und Gestalten nicht verlieren. 3

„Natürlich geben wir dennoch Impulse und beobachten“, erklärt Stefanie Baumann, „und es ist immer schön anzusehen, wenn Kinder ihre Scheu ablegen, mit ihren roten Wangen in Gummistiefeln durch den Wald laufen, mit ihren Wassereimern und Stöcken – es ist so schön zu sehen, wofür Kinder sich begeistern können und es ist so schade, dass viele Erwachsene das vergessen haben“.

Was für ein Regelkindergartenkind Lego ist, sind für das Waldkindergartenkind Stöcke und Steine. Damit kommt es der Natur in jungen Jahren schon ein ganzes Stück näher. In Waldkindergärten sollen Kinder durch diese Art der Begegnung schon früh lernen, sich als konstruktiver Teil ihrer Umwelt wahrzunehmen. Der Kindergarten „Die kleinen Waldschrate e.V.“ aus Bamberg, der im Jahr 2005 durch eine Elterninitiative ins Leben gerufen wurde, setzt sich für frühe Naturverbundenheit als Basis einer nachhaltigen Entwicklung ein.

Der Kindergarten-Alltag

Über die Verbindung zur Natur

Entdeckergeist schulen

OberfrankenOberfranken
Die Kleinen waren fleißig

Für mehr Informationen: https://www.waldkindergarten-bamberg.de/

(1) Dr. phil. Häfner, Peter: „Natur- und Waldkindergärten in Deutschland –  eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung“, Diss. 2008, Universität Heidelberg, S. 35ff.

(2) HENTIG, H. VON:  Humanisierung, eine verschämte Rückkehr zur Pädagogik?  Stuttgart 1993, S. 56, zit. nach Dr. phil. Häfner, Peter: „Natur- und Waldkindergärten in Deutschland –  eine Alternative zum Regelkindergarten in der vorschulischen Erziehung“, Diss. 2008, Universität Heidelberg, S. 40.

(3) Vgl. BildungsklickTV: „‚Begeisterte Entdecker bleiben‘ – Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther“, URL: https://www.youtube.com/watch?v=Sdf1_k0UO3w [letzter Aufruf am 22.03.2020].

Wer sich für das Thema „Kindergarten“ interessiert, kann sich hier weiter umschauen:

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Posted by Ann-Kathrin Fischer in Ann-Kathrin Fischer, Kindheit, Pädagogische Projekte für Kinder/Jugendliche
Vom Kindergarten bis zur Bundesliga

Vom Kindergarten bis zur Bundesliga

„Brose Bamberg“ setzt sich für den Nachwuchs ein – und das schon ab dem Kindergarten.  „KiGa Baskets“ nennen sich die jüngsten Sportler im Förderprogramm des Basketballvereins mit einem Alter von vier bis sechs Jahren. Um sie spielerisch an den Sport heranzuführen, besuchen qualifizierte Übungsleiter wöchentlich verschiedene Einrichtungen in Bamberg und der Region. Das Ziel ist, den Spaß an der Bewegung und die Begeisterung für Basketball zu wecken.

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„Brose Bamberg“ setzt sich für den Nachwuchs ein – und das schon ab dem Kindergarten.  „KiGa Baskets“ nennen sich die jüngsten Sportler im Förderprogramm des Basketballvereins mit einem Alter von vier bis sechs Jahren. Um sie spielerisch an den Sport heranzuführen, besuchen qualifizierte Übungsleiter wöchentlich verschiedene Einrichtungen in Bamberg und der Region. Das Ziel ist, den Spaß an der Bewegung und die Begeisterung für Basketball zu wecken.

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Posted by Ann-Kathrin Fischer in Ann-Kathrin Fischer, Kindheit, Pädagogische Projekte für Kinder/Jugendliche
Wilde Wurzeln in Bamberg

Wilde Wurzeln in Bamberg

Florian Essel, Erzieher und Wildnispädagoge, hat vor gut dreieinhalb Jahren in Bamberg „Wilde Wurzeln Wildnispädagogik“ gegründet. Sein Ziel ist es, junge Menschen für die Natur zu begeistern. Mittlerweile arbeiten er und sein Team eng mit Schulen der Region zusammen. Neben Ferienbetreuung, Tages- und Geburtstagsaktionen, Zeltlagern und Einzelprojekten bieten sie auch regelmäßigen Gruppenunterricht an – wobei „Unterricht“ hier nicht mit „Schulbank drücken“ gleichgesetzt wird.

Herr Essel, wie arbeiten Sie mit den Schulen der Region zusammen?

Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben kurzzeitige Projekte, bei denen wir nur einen Tag oder eine Woche mit den Schülern in den Wald gehen. Wir haben aber auch Projekte, die das ganze Jahr über laufen. Zum Beispiel betreuen wir eine Schul-AG, die sich mit dem Thema „Naturhandwerk“ auseinandersetzt.

Bei Schulprojekten sprechen wir uns allgemein immer eng mit den Lehrkräften ab und gehen dann thematisch auf den Lehrplan ein. Wenn zum Beispiel das Thema „Wald“ im Unterricht behandelt wurde, die Kinder also schon etwas über Baumarten oder die Tiere des Waldes wissen, dann „holen“ wir sie auf ihrem jeweiligen Kenntnisstand „ab“, indem wir mit ihnen raus in die Natur gehen, wo sie ihr Wissen dann anwenden.

Bei jüngeren Kindern verleihen wir dem Ganzen gerne eine Art „Abenteuercharakter“, in dem wir uns zuvor durch Geschichten in verschiedene Situationen versetzen. Bei den Älteren wird wiederum Survivaltraining sehr gut angenommen.

An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?

Zum Beispiel am Projekt „Wildfang“, das 2018 in Zusammenarbeit mit der Caritas entstanden ist. Es handelt sich um ein Angebot für Kinder aus suchtbelasteten Familien, das Resilienz und Selbstschutz fördert, sie aber auf der anderen Seite auch über das Tabuthema „Sucht“ informieren soll.

Es ist in verschiedene Module aufgebaut, die mal drinnen, mal draußen stattfinden, und handwerkliche, aber auch intellektuelle Fähigkeiten vermitteln. Letztendlich geht es uns darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Und auch um die Möglichkeit, mal schwierige Themen anzusprechen.

Im Moment befinden wir uns allerdings noch in der Bewerbungsphase, das heißt, wir müssen noch abwarten, ob auch wirklich genug Teilnehmer zusammenkommen.

Und dann haben wir noch ein anderes Projekt in den Startlöchern, bei dem es um die Auswirkungen des Klimawandels hier vor Ort geht. Es würde in Zusammenarbeit mit dem Bund Naturschutz und dem Bayerischen Staatsforsten umgesetzt werden.

Wir würden dabei gerne mit den Kindern an Maßnahmen teilnehmen, die im Wald durchgeführt werden, um gegen die Folgen des Klimawandels vorzugehen. Gleichzeitig sollen die Kinder dann auch nach Möglichkeit eine Einführung in die Arbeit eines Forstwirts erhalten.

Aber auch hier sind wir erst noch in der Planungs- bzw. Pilotphase.

Sie bieten Kindern im Alter von 6 – 12 Jahren auch die Möglichkeit, „Waldkidsgruppen“ beizutreten. Wie laufen hier die Treffen ab?

Es gibt jeweils einen Frühling-Sommer-Block mit vier Treffen und einen Herbst-Winter-Block mit vier Treffen, die jeweils 5 Stunden in Anspruch nehmen. Es geht darum, alle Jahreszeiten gemeinsam draußen zu erleben und den Kindern früh die Zusammenhänge in der Natur beziehungsweise ein Verständnis für ökologische Kreisläufe mitzugeben.

Dabei gibt es ganz unterschiedliche Schwerpunkte, wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Wildkräutern, dem Lesen von Tierspuren, der Vogelsprache, dem Bauen eines Unterschlupfes…

Wir weichen aber auch mal von diesen Themen ab, wenn es etwas gibt, was die Kinder plötzlich brennend interessiert. Einmal wollten wir uns zum Beispiel mit dem Korbflechten auseinandersetzen. Ich habe Körbe mitgebracht und wir sind gemeinsam zu einer Weide gelaufen, die wir schneiden wollten. Dann haben wir auf dem Weg dahin aber einen Schädel von einem Tier gefunden und natürlich war das plötzlich viel spannender als das Korbflechten. Es wurden die wildesten Theorien gesponnen, um was für ein Tier es sich denn handeln könnte – vom Dinosaurier bis zum Wildschwein – und dann haben wir uns eben tatsächlich der Frage angenommen, was das für ein Tier gewesen sein und was passiert sein könnte. Letztendlich hat ein Kind dann sogar zuhause noch nachgeforscht und zum nächsten Treffen die Lösung präsentiert.

Solche Erlebnisse zu fördern ist eigentlich unser Ziel. Wir unterstützen diese Art „Eigendynamik“, die sich aus einem Fund entwickeln kann, und freuen uns, wenn die Kinder gewillt sind, sich tiefer mit einem Thema zu beschäftigen.

Die Kindergruppe hat Kräuter im Wald gefunden und sortiert sie.

Haben Sie auch Kinder dabei, die bisher wenig Kontakt mit der Natur hatten?

Ganz unterschiedlich. Wir haben manchmal Kinder dabei, die beispielsweise Angst vor Zecken haben und sich nicht auf den Boden setzen wollen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Kinder, die oft mit den Eltern rausgehen oder die schon den Waldkindergarten besucht haben. Sie sind es gewohnt, durch Wälder zu streifen.

Also das ist tatsächlich bunt gemischt und ergänzt sich sehr gut. Oft ist es so, dass die Kinder, die sich anfangs ein bisschen schwertun, spätestens beim Spielen im Wald ihre Sorgen vergessen und freudestrahlend mit den anderen Kindern Lager bauen. Dann sind sie auch in der Lage, ganz neue Dinge zu entdecken – wenn sie nicht die ganze Zeit in ihren Ängsten gefangen sind.

Warum ist es so wichtig, als Kind viel draußen unterwegs zu sein?

Ich sehe positive Erfahrungen mit der Natur als Grundstein für ein natur- und umweltbewusstes Leben. Letztendlich ist vielen Menschen nicht mehr bewusst, dass wir ein Teil dieser ganzen Natur um uns herum sind und nicht nur ihr Behüter, Beschützer oder Besucher. Wir wollen bei uns schon früh eine positive Verbindung zur Umwelt aufbauen, indem wir mit den Kindern draußen Abenteuer erleben, ihnen schöne Erlebnisse mit auf den Weg geben.

Die Interaktion mit den anderen Kindern bietet den Teilnehmern auch die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten und Kompetenzen auszubilden – wie zum Beispiel Selbstbewusstsein, Eigen- und Fremdwahrnehmung, Einfühlungsvermögen.

Warum sind Sie Wildnispädagoge geworden?

Ich habe in der Wildnispädagogik viel gefunden, was ich selbst in jungen Jahren erlebt habe, aber heute bei Kindern nicht mehr häufig antreffe.

Bei mir war es so, dass ich die Hausaufgaben gemacht habe und dann einfach nur noch draußen war. Mittlerweile hat sich da viel geändert.

Viele Kinder werden in Ganztagsschulen betreut, verbringen Nachmittage damit, den Schulstoff nachzubereiten oder haben andere Termine wahrzunehmen. Das ist an sich nichts Schlechtes. Es ist eigentlich generell zu befürworten, wenn sich Kinder für etwas engagieren, sei es für die Schule oder das Hobby.

Ich bemerke trotzdem, dass die Zeit, in der man einfach nur die Seele baumeln lassen kann, heute sehr knapp bemessen ist. Es ist aber wichtig, auch mal ungeplante Zeit zu haben. Ohne Druck und ohne Vorgaben mal irgendwo zu sein, die Augen aufzumachen und zu schauen, was man entdecken kann. Denn es gibt sehr viel zu entdecken auf dieser Welt.

Wer mehr über die Welt von „Wilde Wurzeln Wildnispädagogik“ erfahren möchte, kann das hier tun: https://www.wildewurzeln.de/

Wer sich für „Erfahrungen mit der Natur im Kindesalter“ interessiert, kann sich hier weiter umsehen:

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Posted by Ann-Kathrin Fischer in Ann-Kathrin Fischer, Kindheit, Pädagogische Projekte für Kinder/Jugendliche
Was macht ein Sommerlochkrokodil im Winter?

Was macht ein Sommerlochkrokodil im Winter?

Für gewöhnlich schaffen Schlangen, Schildkröten oder Krokodile es nur dann in unsere Zeitungen, wenn Redaktionen unterbesetzt sind. Einige Menschen sind jedoch auch noch dann für diese ausgesetzten Kreaturen da, wenn das Sommerloch vorbei ist und bieten ihnen eine Heimat.

Rotwangen-Schmuckschildkröte am Bamberger Hainweiher

Wie viele von uns, verbringt auch Helga den goldenen Oktober 2018 an einem Teich. Dort genießt sie es, sich die Sonnenstrahlen auf den Rücken prasseln zu lassen und im kühlen Wasser ihre Bahnen zu schwimmen. Am 26. Oktober endet Helgas Traumsommer jäh. Bei ihrem Badeteich wird das Wasser abgelassen. Sie wird eingefangen und ins Bamberger Tierheim Berganza gebracht. Gerade rechtzeitig, denn den Winter hätte Helga draußen vermutlich nicht überlebt. Helga ist eine Schildkröte – um genau zu sein: eine Indianer-Zierschildkröte – und etwa so groß, wie ein Pizzateller. Damit ist sie fast so groß, wie die Alligatorschildkröte Suarez, die von 2014 bis 2016 Seen in Mittelfranken und die Sommerlöcher deutscher Mendien unsicher machte.

Wenn Fundreptilien ins Bamberger Tierheim kommen, erhalten sie zu allererst einen neuen Namen – Schildi etwa oder Terri oder eben Helga. Dann untersuchen die Mitarbeiter des Tierheims sie auf Krankheiten, vermessen und fotografieren sie. Falls Zweifel bestehen, versuchen sie zudem festzustellen, welcher Art das jeweilige Tier angehört. Das ist nicht immer ganz einfach. Helga beispielsweise ist ungewöhnlich groß für ihre Art. So etwas kann passieren, wenn der Vorbesitzer sein Tier falsch gefüttert hat.

Angeschafft, um die Individualität ihrer Besitzer zu unterstreichen

Indianer-Zierschildkröten wie Helga sind eigentlich nur in Mexiko und Teilen der Vereinigten Staaten heimisch. Das haben sie mit ihren Cousins, den Hieroglyphen-Schmuckschildkröten und den drei Arten der Buchstaben-Schmuckschildkröte (Gelbwangen-, Rotwangen- und Cumberland-Schmuckschildkröte), gemeinsam. Trotzdem finden Tierschützer jedes Jahr zahllose dieser Tiere in deutschen Teichen. Der Trend zu Haustieren wie Schlangen und Schildkröten begann in den 90er Jahren. Je seltener, umso besser. Reptilien und andere Exoten wurden zu Accessoires - nur angeschafft, um die Individualität ihrer Besitzer zu unterstreichen. Die meisten Besitzer hatten kaum oder wenig Ahnung, auf was sie sich bei der Anschaffung dieser Tiere einlassen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

So sieht Helga in Aktion aus. Sie gehört eher zu der gemütlichen Sorte.

„Wenn man diese Tiere im Laden kauft, dann sind sie meist kaum größer als ein Fünfmarkstück“, erklärt Peter König, der erste Vorstand des Bamberger Tierheims. Dass sie später mal Ausmaße wie Helga annehmen können, überrascht die Käufer erst später. „Ausgewachsen passt die Schildkröte dann oft nur noch diagonal ins Aquarium“, so König. Auch vergessen viele Leute, wie alt Reptilien werden können. „Manche Leute erben auch so ein Tier von ihren Eltern oder Großeltern und sind dann überfordert“, sagt Stefanie Friedl, welche als Leiterin der Kleintierabteilung im Tierheim Bamberg auch für Reptilien zuständig ist. „So eine Schildkröte ist von ihrer Lebensspanne eben nicht mit einem Kaninchen vergleichbar. Da schenkt man seinem Kind Verantwortung für sein ganzes Leben.“ Manche Arten werden sehr alt.

Ausgesetzte Exoten nicht nur in Oberfranken

Dass viele Menschen sich bei der Anschaffung von Haustieren zu wenig Gedanken machen, kritisiert auch Petra Taint von der Reptilienauffangstation in München. Dort landen bayernweit alle Exoten, mit denen sich kleinere Tierheime, wie das in Bamberg, überfordert fühlen. Allein 2018 waren das 911 Tiere, darunter zahlreiche Schlangen, Schildkröten, Lurche sowie einige exotische Fische und sogar Krokodile. „Viele schaffen sich bestimmte Tiere an, weil sie gerade im Trend sind“, sagt Taint. Ein Beispiel dafür seien sogenannte Morphe, sprich spezielle Züchtungen etwa bei Schlangen, die über besonders auffälliger Zeichnungen verfügen. „Kaum ist so ein Trend vorbei, werden viele dieser Tiere ausgesetzt und landen am Ende bei uns.“

Eigentlich ist die Reptilienauffangstation München nur für Fundtiere aus Bayern verantwortlich. Da es bundesweit jedoch nur wenige Einrichtungen gibt, die ausgesetzte Exoten versorgen können, kommen auch Tiere aus anderen Bundesländern nach München. In den vergangenen drei Jahren verzeichnete die Reptilienauffangstation so 3316 Neuzugänge.

Dieses Problem der Wegwerf-Tierhaltung hat mittlerweile sogar die EU auf den Plan gerufen. Denn manche Exoten sind bei uns zwar nicht heimisch, fühlen sich aber dennoch bei uns recht wohl. 2016 beschloss die Staatengemeinschaft, alle drei Arten der Buchstaben-Schmuckschildkröten auf ihre Liste der „invasiven gebietsfremden Arten“ zu setzen. Hier stehen die beliebten Aquarienbewohner nun gemeinsam mit Waschbären, Nilgänsen und der Bisamratte. Im Gegensatz zu diesen anderen Arten breiten sich die Buchstaben-Schmuckschildkröten jedoch nicht selbstständig aus. Dadurch zeichnen sich invasive Arten eigentlich aus. Die Schildkröten können lediglich den Winter bei uns überleben. Verbreitet werden sie nahezu ausschließlich durch den Menschen. Zwar werden auch andere Schildkrötenarten in Karpfenteichen ausgesetzt, diese verenden jedoch jämmerlich sobald es kalt wird. Meist an einer Lungenentzündung.

Die EU unterstellt den Buchstaben-Schmuckschildkröten zudem, heimische Amphibien wie den Kammmolch zu bedrohen – und darüber hinaus auch die Europäische Sumpfschildkröte. Die ist so selten, dass viele Menschen gar nicht von ihrer Existenz wissen. 2018 wurde sogar ein Exemplar in Bamberg entdeckt und um sicher zu gehen gleich ins Tierheim gebracht. Für Wildtiere gehen solche Aktionen oft mit viel Stress einher und manch ein Tier überlebt dieses Erlebnis auch nicht.

Endstation Auffangstation

Mit ihrer Listung dürfen die Buchstaben-Schmuckschildkröten nun nicht mehr gezüchtet oder gehandelt werden. Das freut Tierfreunde, denn damit verschwinden diese drei Arten aus den Ladenflächen. Einrichtungen wie das Tierheim Bamberg und die Reptilienauffangstation stellt das Gesetz jedoch vor neue Herausforderungen, denn auch sie bleiben auf vielen der Fundtiere sitzen. „Nur jedes zweite Tier, das wir bekommen, können wir auch wieder weitervermitteln“, sagt Taint. Selbst Zoos hätten oft kein Interesse, ausgesetzte Exoten aufzunehmen.

Dies sind einige Bilder der Sumpfschildkröte, die im Bamberger Tiereim abgegeben wurde. Nach der Artbestimmung brachten die Mitarbeiter des Tierheims sie wieder zurck zu ihrem Teich.

Quelle: Peter König, Tierheim Bamberg

Auch Stefanie Friedl ist mit der aktuellen Gesetzeslage nicht so recht zufrieden: „Dann verkaufen die Zoohandlungen halt andere Arten, die nicht als invasiv gelten.“ Daran, dass verantwortungslose Besitzer ihre Tiere klammheimlich in der Wildnis entsorgen, ändere das Verbot der Buchstaben-Schmuckschildkröten nichts.

Das Bamberger Sommerlochkrokodil hat Glück. Helgas Art braucht zwar Dokumente, die dem Tierheim viel Arbeit bereiten. Sie darf aber weitervermittelt werden. Und wenige Wochen vor Weihnachten findet sich auch jemand, der sie aufnehmen möchte – obwohl sie für die meisten Aquarien zu groß ist. So muss sie Weihnachten nicht im Tierheim bleiben und verbringt den Rest ihres Lebens hoffentlich bei jemandem, der sie zu schätzen weiß.

Stefanie Friedl ist Helgas Tierpflegerin im Tierheim Bamberg. Helga ist nicht der erste Exot in ihren Händen.

Posted by Andreas Wolfger in Andreas Wolfger, Panorama
Bamberger Sandkerwa

Bamberger Sandkerwa

Die Sandkerwa findet jedes Jahr im August rund um die Bamberger Sandstraße statt. In der Regel dauert sie fünf Tage, zum 60-jährigen Jubiläum 2010 sogar sieben. Jährlich lockt die Sandkerwa etwa 300 000 Besucher an.

Die Geschichte der Sandkerwa

1951 entschloss sich der Bürgerverein Bamberg 4. Distrikt, ein Kirchweihfest um die Elisabethkirche aufzuziehen. Die damalige Begründung: Das Viertel wurde von Kriegseinwirkungen verschont - ein Grund zum Feiern. Die Bamberger nahmen das neue Fest gut an.

Sandkerwa

Die Sandkerwa erfreute sich daraufhin immer größer werdender Beliebtheit. Doch schon 1961 stand sie auf der Kippe. Der Grund: Personalmangel. Einige Wirtshäuser sahen sich nicht in der Lage, Teil der Sandkerwa zu sein. Und auch die Auflagen der Stadt erschwerten das Vorhaben. Doch trotz aller Schwierigkeiten: Die traditionelle Sandkerwa fand statt.

Die "wilde" Sandkerwa 2017

2017 dann der Eklat: Der Bürgerverein entschloss sich, das Fest in diesem Jahr auszusetzen. Grund dafür: „Haftungsrisikos und finanzielle Risiken“, durch die sich der Verein nicht mehr in der Lage sah, die Veranstaltung auszurichten. Doch davon ließen sich die Bamberger nicht abhalten, veranstalteten kurzerhand eine „wilde“ Sandkerwa, organisiert über soziale Netzwerke. Dies untermauert den großen Stellenwert der Sandkerwa unter den Einwohnern der Region.

Posted by LauraSchmidt in Orte & Freizeit