Florian Essel, Erzieher und Wildnispädagoge, hat vor gut dreieinhalb Jahren in Bamberg „Wilde Wurzeln Wildnispädagogik“ gegründet. Sein Ziel ist es, junge Menschen für die Natur zu begeistern. Mittlerweile arbeiten er und sein Team eng mit Schulen der Region zusammen. Neben Ferienbetreuung, Tages- und Geburtstagsaktionen, Zeltlagern und Einzelprojekten bieten sie auch regelmäßigen Gruppenunterricht an – wobei „Unterricht“ hier nicht mit „Schulbank drücken“ gleichgesetzt wird.
Herr Essel, wie arbeiten Sie mit den Schulen der Region zusammen?
Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben kurzzeitige Projekte, bei denen wir nur einen Tag oder eine Woche mit den Schülern in den Wald gehen. Wir haben aber auch Projekte, die das ganze Jahr über laufen. Zum Beispiel betreuen wir eine Schul-AG, die sich mit dem Thema „Naturhandwerk“ auseinandersetzt.
Bei Schulprojekten sprechen wir uns allgemein immer eng mit den Lehrkräften ab und gehen dann thematisch auf den Lehrplan ein. Wenn zum Beispiel das Thema „Wald“ im Unterricht behandelt wurde, die Kinder also schon etwas über Baumarten oder die Tiere des Waldes wissen, dann „holen“ wir sie auf ihrem jeweiligen Kenntnisstand „ab“, indem wir mit ihnen raus in die Natur gehen, wo sie ihr Wissen dann anwenden.
Bei jüngeren Kindern verleihen wir dem Ganzen gerne eine Art „Abenteuercharakter“, in dem wir uns zuvor durch Geschichten in verschiedene Situationen versetzen. Bei den Älteren wird wiederum Survivaltraining sehr gut angenommen.
An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Zum Beispiel am Projekt „Wildfang“, das 2018 in Zusammenarbeit mit der Caritas entstanden ist. Es handelt sich um ein Angebot für Kinder aus suchtbelasteten Familien, das Resilienz und Selbstschutz fördert, sie aber auf der anderen Seite auch über das Tabuthema „Sucht“ informieren soll.
Es ist in verschiedene Module aufgebaut, die mal drinnen, mal draußen stattfinden, und handwerkliche, aber auch intellektuelle Fähigkeiten vermitteln. Letztendlich geht es uns darum, das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Und auch um die Möglichkeit, mal schwierige Themen anzusprechen.
Im Moment befinden wir uns allerdings noch in der Bewerbungsphase, das heißt, wir müssen noch abwarten, ob auch wirklich genug Teilnehmer zusammenkommen.
Und dann haben wir noch ein anderes Projekt in den Startlöchern, bei dem es um die Auswirkungen des Klimawandels hier vor Ort geht. Es würde in Zusammenarbeit mit dem Bund Naturschutz und dem Bayerischen Staatsforsten umgesetzt werden.
Wir würden dabei gerne mit den Kindern an Maßnahmen teilnehmen, die im Wald durchgeführt werden, um gegen die Folgen des Klimawandels vorzugehen. Gleichzeitig sollen die Kinder dann auch nach Möglichkeit eine Einführung in die Arbeit eines Forstwirts erhalten.
Aber auch hier sind wir erst noch in der Planungs- bzw. Pilotphase.
Sie bieten Kindern im Alter von 6 – 12 Jahren auch die Möglichkeit, „Waldkidsgruppen“ beizutreten. Wie laufen hier die Treffen ab?
Es gibt jeweils einen Frühling-Sommer-Block mit vier Treffen und einen Herbst-Winter-Block mit vier Treffen, die jeweils 5 Stunden in Anspruch nehmen. Es geht darum, alle Jahreszeiten gemeinsam draußen zu erleben und den Kindern früh die Zusammenhänge in der Natur beziehungsweise ein Verständnis für ökologische Kreisläufe mitzugeben.
Dabei gibt es ganz unterschiedliche Schwerpunkte, wir beschäftigen uns zum Beispiel mit Wildkräutern, dem Lesen von Tierspuren, der Vogelsprache, dem Bauen eines Unterschlupfes…
Wir weichen aber auch mal von diesen Themen ab, wenn es etwas gibt, was die Kinder plötzlich brennend interessiert. Einmal wollten wir uns zum Beispiel mit dem Korbflechten auseinandersetzen. Ich habe Körbe mitgebracht und wir sind gemeinsam zu einer Weide gelaufen, die wir schneiden wollten. Dann haben wir auf dem Weg dahin aber einen Schädel von einem Tier gefunden und natürlich war das plötzlich viel spannender als das Korbflechten. Es wurden die wildesten Theorien gesponnen, um was für ein Tier es sich denn handeln könnte – vom Dinosaurier bis zum Wildschwein – und dann haben wir uns eben tatsächlich der Frage angenommen, was das für ein Tier gewesen sein und was passiert sein könnte. Letztendlich hat ein Kind dann sogar zuhause noch nachgeforscht und zum nächsten Treffen die Lösung präsentiert.
Solche Erlebnisse zu fördern ist eigentlich unser Ziel. Wir unterstützen diese Art „Eigendynamik“, die sich aus einem Fund entwickeln kann, und freuen uns, wenn die Kinder gewillt sind, sich tiefer mit einem Thema zu beschäftigen.
Haben Sie auch Kinder dabei, die bisher wenig Kontakt mit der Natur hatten?
Ganz unterschiedlich. Wir haben manchmal Kinder dabei, die beispielsweise Angst vor Zecken haben und sich nicht auf den Boden setzen wollen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch Kinder, die oft mit den Eltern rausgehen oder die schon den Waldkindergarten besucht haben. Sie sind es gewohnt, durch Wälder zu streifen.
Also das ist tatsächlich bunt gemischt und ergänzt sich sehr gut. Oft ist es so, dass die Kinder, die sich anfangs ein bisschen schwertun, spätestens beim Spielen im Wald ihre Sorgen vergessen und freudestrahlend mit den anderen Kindern Lager bauen. Dann sind sie auch in der Lage, ganz neue Dinge zu entdecken – wenn sie nicht die ganze Zeit in ihren Ängsten gefangen sind.
Warum ist es so wichtig, als Kind viel draußen unterwegs zu sein?
Ich sehe positive Erfahrungen mit der Natur als Grundstein für ein natur- und umweltbewusstes Leben. Letztendlich ist vielen Menschen nicht mehr bewusst, dass wir ein Teil dieser ganzen Natur um uns herum sind und nicht nur ihr Behüter, Beschützer oder Besucher. Wir wollen bei uns schon früh eine positive Verbindung zur Umwelt aufbauen, indem wir mit den Kindern draußen Abenteuer erleben, ihnen schöne Erlebnisse mit auf den Weg geben.
Die Interaktion mit den anderen Kindern bietet den Teilnehmern auch die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten und Kompetenzen auszubilden – wie zum Beispiel Selbstbewusstsein, Eigen- und Fremdwahrnehmung, Einfühlungsvermögen.
Warum sind Sie Wildnispädagoge geworden?
Ich habe in der Wildnispädagogik viel gefunden, was ich selbst in jungen Jahren erlebt habe, aber heute bei Kindern nicht mehr häufig antreffe.
Bei mir war es so, dass ich die Hausaufgaben gemacht habe und dann einfach nur noch draußen war. Mittlerweile hat sich da viel geändert.
Viele Kinder werden in Ganztagsschulen betreut, verbringen Nachmittage damit, den Schulstoff nachzubereiten oder haben andere Termine wahrzunehmen. Das ist an sich nichts Schlechtes. Es ist eigentlich generell zu befürworten, wenn sich Kinder für etwas engagieren, sei es für die Schule oder das Hobby.
Ich bemerke trotzdem, dass die Zeit, in der man einfach nur die Seele baumeln lassen kann, heute sehr knapp bemessen ist. Es ist aber wichtig, auch mal ungeplante Zeit zu haben. Ohne Druck und ohne Vorgaben mal irgendwo zu sein, die Augen aufzumachen und zu schauen, was man entdecken kann. Denn es gibt sehr viel zu entdecken auf dieser Welt.
Wer mehr über die Welt von „Wilde Wurzeln Wildnispädagogik“ erfahren möchte, kann das hier tun: https://www.wildewurzeln.de/
Wer sich für „Erfahrungen mit der Natur im Kindesalter“ interessiert, kann sich hier weiter umsehen: