Wie denken Senioren heute eigentlich über ihre eigene Kindheit? Wie gut ist sie ihnen im Gedächtnis geblieben? Gibt es eine Erinnerung, an die man besonders gerne zurückdenkt? Und was finden die Senioren heute besser oder schlechter als früher? Wir haben uns in der Kulmbacher Altstadt über die Nachkriegszeit in Oberfranken umgehört.
Senioren
Zusammentreffen von Jung und Alt – Die große Chance
Begegnungen zwischen Jung und Alt stärken das Verständnis füreinander. Gemeinsam lernen, lauschen und lachen – ein Projekt auf Augenhöhe. Geht da nicht noch mehr?
Themenschwerpunkte:
- Das Projekt
- Erlebnisse zwischen den Schülern und den Senioren
- Soziales Engagement von Schülern
- Warum Kreativität gesund ist
- Was das Ganze bewirken kann
„Ich glaube, das kann ich nicht“, sagt die Rentnerin leise. Die Schülerin Celina reagiert gekonnt: „Probieren Sie es doch mal. Was genau möchten Sie denn basteln?“ fragt Celina die im Rollstuhl sitzende Seniorin, die erst etwas später zum Basteltisch dazugekommen ist. „Wie bitte?“, fragt die Dame im blauen Pullover. Celina spricht lauter: „Wollen Sie lieber einen Vogel, einen Hasen oder eine Blume basteln?“ „Ach, halt das was am einfachsten ist“, erwidert die gut zurechtgemachte Dame mit einem schüchternen Lächeln. Celina zückt die Schablone der Blume und legt Ingrid Söllner (Name geändert) Buntstifte zurecht. „Das Ausmalen können Sie auf jeden Fall selbst probieren“, ermutigt sie die Seniorin. Diese lächelt und hat sichtlich Freude daran, mit dem Mädchen ein Bild zu gestalten.
Das Projekt
Celina und ihre drei Klassenkameradinnen Nina, Vanessa und Lea sind Achtklässlerinnen an der Carl-von-Linde-Realschule in Kulmbach. Seit zirka fünf Monaten besuchen sie alle zwei Wochen das Heiner-Stenglein-Seniorenheim nach ihrer regulären Schulzeit. Dort basteln, kochen, backen und spielen sie mit den Rentnern. Alle vier sind im Sozialzweig und konnten sich aus freiwilligen Angeboten neben der Schule ihre Favoriten auswählen. Die Kooperation zwischen der Realschule und dem Seniorenheim gibt es laut der Sozialpädagogin Silvia Bauernfeind, die das Projekt von Seiten des Altenheims betreut, schon vierzehn Jahre und sei „eine große Bereicherung für beide Parteien“. „Es ist so spannend, das Agieren zwischen den Senioren und den Jugendlichen zu beobachten. Was dabei für Gesprächsthemen und Ideen entstehen ist der Wahnsinn.“
„Es soll nicht so aussehen, als wäre es dieses typische Altenheim Basteln“, stellt Silvia Bauernfeind klar, während sie mit Schere, Stiften und buntem Tonpapier in den Speisesaal läuft. Das graue, stürmische Wetter lässt es nicht zu, dass viel Licht in den großen Raum fällt und dennoch wirkt der Saal freundlich und hell. Mit einem freundlichem, aber nicht übertriebenen Lächeln, läuft Silvia Bauernfeind zwischen den vielen Tischen umher. Mit ihrer lockeren, flapsigen Art schafft sie es immer wieder für Gelächter im Raum zu sorgen. Nachdem sie die Bastelutensilien auf dem langen hellbraunen Tisch, an dem sich mittlerweile knapp zehn Rentner versammelt haben, abstellt, holt sie eine weise Plastikschüssel hervor, in der sich zahlreiche Gummibärchen und Schokoriegel befinden. „Kommt, greift zu“, fordert sie, während sie sich auf den Weg zu vier Schülerinnen macht, die gerade ihre Schulranzen und Jacken im hinteren Eck des Raumes ablegen.
Erlebnisse zwischen den Schülern und den Senioren
Als die Schülerin Celina über die letzten Nachmittage mit den Senioren nachdenkt, muss sie schmunzeln. „Letztens hat mich der Herr Bernbusch (Name geändert) gefragt wie ein Smartphone funktioniert und was ein Hashtag ist“, erzählt sie und beginnt zu lachen. Ihre drei Kolleginnen beginnen auch zu lachen. Sie können sich scheinbar an die Situation erinnern. „Da merkt man, dass die Senioren was neues digitales von uns lernen möchten“, ergänzt Celina mit einem stolzen Lächeln. „Ja, ich finde auch dass sie sich für uns interessieren, sie fragen zum Beispiel nach, wie es in der Schule läuft oder wie es uns geht. Aber sie erzählen natürlich auch gerne von sich und von ihrer Jugend“, sagt Lea, die in ihrer etwas zurückhaltenden Art plötzlich spürbar auftaut, wenn sie von der gemeinsamen Zeit mit den Senioren spricht. „Sie haben ja auch deutlich mehr Erfahrung als wir, also finde ich es auch immer cool, wenn sie etwas von ihrem Leben erzählen“, meint Celina.
Soziales Engagement von Schülern
Die vier Mädels scheinen für ihr junges Alter schon sehr zielorientiert zu sein und haben größtenteils schon Pläne, die sie in der Zukunft verfolgen möchten. Die sozialen Projekte, die neben der Schule angeboten werden, sollen ihnen dabei sehr geholfen haben. „Klar will ich später auch was Soziales machen.“ Die Antwort von Lea kommt wie aus der Pistole geschossen. Die 13-jährige ist schon von klein auf in Pflegeheimen gewesen, da ihre Mutter in diesem Bereich arbeitet und sie immer mitgenommen hat. Lea engagiert sich zusätzlich in ihrer Schule beim Sanitätsdienst. „Das möchte ich später auch einmal machen, ich möchte Rettungssanitäterin werden“, verdeutlicht die Schülerin mit einem starken Gesichtsausdruck, als würde nichts anderes mehr in Frage kommen. Ihrer Klassenkameradin Celina hat das Projekt in einer anderen Art und Weise die Augen geöffnet. „Ich gehe zusätzlich zu den Nachmittagen im Altenheim auch noch in einen Kindergarten, um dort nach der Schule auszuhelfen. Das macht mir beides viel Spaß, aber ich habe gemerkt, dass ich nichts Soziales als festen Beruf machen möchte.“ Silvia Bauernfeind kommt zufällig zum Gespräch dazu und legt für einen kurzen Moment die Süßigkeitenschüssel zur Seite. „Ich finde es wirklich klasse, dass es jedes Jahr aufs Neue Schüler gibt, die sich überhaupt für dieses Projekt engagieren. Ich möchte aber auf gar keinen Fall, dass die Schüler denken, ich möchte sie zu einem sozialen Beruf drängen. Ich hoffe einfach, dass sie in der Zukunft immer mal an diese Momente zurückdenken und stolz auf sich sind“, sagt sie während sie die vier Schülerinnen mit strahlenden Augen anschaut. Sie sei allgemein sehr stolz auf das Engagement bei Jugendlichen im sozialen Bereich. „Ich finde es toll, dass sich sozial eingestellte Schüler oft sogar für mehr als ein Projekt in ihrer Freizeit einsetzen. Die soziale Arbeit, auch die ehrenamtliche, sollte sich noch viel mehr verbreiten.“
Warum Kreativität gesund ist
„Warum Kreativität gesund ist“ – der Senioren Ratgeber der Apothekenumschau veröffentlichte Anfang des Jahres einen Bericht zu diesem Thema. „Kreative Beschäftigung ist nicht nur bereichernd, sie kann auch ein Begleiter auf dem Weg eines gesunden und guten Alterns sein“, sagte der Frankfurter Psychiatrie-Professor Johannes Pantel in diesem Bericht. Er verfolgt schon länger Studien zu diesem Thema. Ein Experiment in den USA, bei dem Senioren regelmäßig zu Kunstkursen gingen, bewies, dass diese Rentner seltener zum Arzt müssen, weniger Medikamente nehmen und sich insgesamt gesünder und geistig fitter fühlen. Für Silvia Bauernfeind ist klar, dass den Senioren neben der kreativen Arbeit auch das Miteinander mit Kindern gut tut. Deshalb soll es nach außen, nicht so wirken, als würden alte Leute nur ein bisschen basteln. Das große Ganze solle mehr betrachtet werden. „Ich stelle immer wieder fest, dass die Senioren viel aufgeschlossener und kreativer sind, wenn die jungen Leute bei uns sind. Mit mir würden sie solche Aktionen nie so lange durchziehen“, meint Bauernfeind. „Und das liegt nicht daran, dass ich meinen Job nicht gut mache“, scherzt sie. Es seien die Jugendlichen, die eine andere Motivation bei den Senioren hervorrufen.
Witze, Geschichten von früher und vor allem viele Fragen. Neben dem hochkonzentrierten Basteln der Fensterbilder gibt es auch Phasen, in denen viel gescherzt, gelacht und erzählt wird. Während eines lustigen Gesprächs zwischen Frau Müller (Name geändert) und Lea zückt Silvia Bauernfeind die Kamera. Sie nimmt Frau Müller und Lea als Hauptmotiv. Die Seniorin Müller bleckt die Zunge: „Ich bin aber auch so verrückt“, sagt sie und lacht. „Das sind wir hier doch alle“, entgegnet die Sozialpädagogin und lacht mit.
Was das Ganze bewirken kann
Es sind etliche Vogel-, Kaninchen- und Blumenfensterbilder zusammengekommen. Einige wurden bemalt, andere nur ausgeschnitten. Nach knappen eineinhalb Stunden schreitet Silvia Bauernfeind ein. „Wir müssen langsam zum Ende kommen. Überlegt euch schon mal, was wir das nächste Mal machen können“, fordert die Sozialpädagogin die Schülerinnen und die Rentner auf. Frau Kraus (Name geändert) bringt direkt den ersten Vorschlag. Bislang hat die Seniorin nicht viel gesagt und sich mehr aufs Basteln fokussiert. „Ich möchte gerne ein Osternest basteln, das ich dann aufstellen kann“, sagt sie mit einem leicht fragenden Unterton und weit aufgerissenen Augen. Auch Schülerin Nina, die sich sonst eher ein bisschen zurückhält, hat einen Vorschlag: „Wie wäre es mit Salzteig? Da könnten wir Formen ausstechen und die dann mit Zahnstochern personalisieren.“ Auch Frau Müller, die heute laut Silvia Bauernfeind besonders gut gelaunt sei, meldet sich zu Wort: „Wieso stricken wir nicht mal?“ Lea, die direkt neben ihr sitzt, schaut erschrocken: „Oh, das kann ich nicht.“
Genau dafür ist dieses Projekt vorgesehen. „Ich möchte Jung und Alt zusammenbringen, damit sie voneinander lernen können, sich austauschen und das Miteinander genießen können“, sagt Bauernfeind. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligen-Zentren veröffentlichte ihr Projekt „Generationsübergreifendes Lernen“, welches durch das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration gefördert wird, in einem Handbuch. Sie begründen die Notwendigkeit von generationsübergreifendem Lernen wie folgt: „Das Wissen verändert sich rasant, dadurch muss Wissen weitergegeben werden, aber eben nicht nur von Älteren zu Jüngeren, sondern auch umgekehrt. Der Prozess wird so wechselseitig.“ Sie fordern: „Die Aufgabe von Engagement fördernden Einrichtungen muss es unter anderem sein, Begegnungsräume zu schaffen, um den Austausch zwischen den Generationen zu ermöglichen.“ Genau das würde sich auch Silvia Bauernfeind wünschen. „Die Senioren reden Tage danach noch von den Jugendlichen. Ich fände es toll, wenn die Möglichkeit Jung und Alt zusammenzubringen, häufiger genutzt werden würde.“
Frau Kraus, die den Vorschlag mit dem Osternest gebracht hat, scheint ein wahres Basteltalent zu sein. „Ich habe früher schon sehr viel und sehr gern gebastelt.“ Sie freut sich jedes Mal auf die kreativen Nachmittage mit den Schülerinnen. Von einer Blume direkt zur Nächsten. Frau Kraus hört gar nicht mehr auf. Zum Schluss wird noch verziert. Die Kaninchen bekommen Augen und einen Schwanz, die Blumen werden bunt bemalt und der Vogel bekommt Flügel. Höchst konzentriert und perfektionistisch geht Frau Kraus das Basteln an. „Noch fünf Minuten, dann müssen die Mädchen gehen“, sagt Silvia Bauernfeind im Hintergrund. Frau Kraus scheint es überhören zu wollen. Sie reagiert nicht und bastelt unbeeindruckt weiter. Als die Mädchen zusammenpacken und gehen möchten, hält Frau Kraus ihre Blume stolz, aber wortlos nach oben. Sie hat in kürzester Zeit aus dem einschichtigen Fensterbild eine mehrdimensionale Blume gezaubert. Das „typische Altenheim Basteln“ wurde zu einem Kreativnachmittag, von dem Jung und Alt profitieren.