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Schneider Rakan Ali – Alles verloren und trotzdem nie aufgegeben

Schneider Rakan Ali – Alles verloren und trotzdem nie aufgegeben

Am Ende der Straße steht ein älteres, etwas düster wirkendes Haus. Der Putz an der Hauswand ist abgeplatzt, die grünliche Wandfarbe verblasst. Nur in der unteren Etage scheint es von Leben erfüllt zu sein. Von außen kann man die Silhouette einer etwa 1,65 Meter großen Gestalt im Schaufenster erkennen. Die grelle Beleuchtung im Erdgeschoss lässt die Schattengestalt entstehen. Beim Betreten des Ladens wird man von einem kleinen dunkelhaarigen Mann mit einem breiten Lächeln im Gesicht begrüßt. Er trägt ein Maßband um den Hals und steht hinter einem niedrigen, mit weißen Tüchern bedecktem Dresen. Der kleine Laden ist von Antiquitäten und Kunst übersäht. Wenn man sich in dem Raum genauer umsieht, entdeckt man in einem alten braunen Holzregal Töpfereien wie Teller und Tassen. An einer Wand hängen abstrakte Bilder und die Fensterbretter stehen voller Keramikfiguren. In der Ecke steht eine Schaufensterpuppe, die ein rotes, orientalisch aussehendes Gewand trägt. Die Kunst lässt den sonst sehr kühlen, weiß gestrichenen Raum, plötzlich warm und einladend wirken. Auf dem Tresen, hinter dem der Mann steht, stehen zwei Nähmaschinen. Hinter ihm hängt eine Kleiderstange voll mit Jacken, Hemden und Hosen. Direkt neben ihm steht eine Schneiderpuppe, die einen schwarzen langen Mantel trägt. Man könnte meinen, dieses Kleidungsstück sei für ihn besonders wertvoll. Immer wieder erklärt er anhand der Puppe seine Kunst. Der Mann, der über den etwa 15 Quadratmeter großen Raum wacht, ist Schneider Rakan Ali, der Besitzer einer kleinen Schneiderei in Kulmbach.

Er ist kein typischer Ladenbesitzer

Ali ist erst seit knapp vier Jahren in Deutschland und seit zweieinhalb Jahren in Kulmbach. Er ist somit kein typischer Ladenbesitzer in der Kulmbacher Innenstadt. In seiner neuen Heimat hat er sich und seiner Familie in kürzester Zeit ein ganz neues Leben aufgebaut. Als Flüchtling kam er in Kulmbach an, hat seinen Besitz in Syrien zurücklassen müssen und startete wieder bei null. Doch der Kurde kämpft und gibt nicht auf. Schnell wird er wieder zum Geschäftsmann. Rakan Ali ist ein Beispiel dafür, was Willensstärke bewirken kann. Der kleine Mann wirkt plötzlich ganz groß.

„Mein Sohn hat deutsche Polizei gesehen und war glücklich“

Zehn Tage lang haben Ali und seine Familie sechs Länder durchquert. Wenn er über seine Heimat Syrien und die Flucht spricht, scheint es ihm nicht gut zu gehen. Schlagartig wird aus dem sonst sehr positiven Menschen, der seine Kunden mit einem strahlenden Lächeln und festem Händedruck empfängt, ein zurückhaltender, leicht verunsicherter Mann. Sein Blick geht ins Leere, die Hände werden unruhig und das Lächeln versteckt sich hinter einer kühlen Fassade. Er spricht leiser. Im Jahr 2015 beschloss der 39-jährige mit seiner Frau und seinem Sohn die Heimat zu verlassen. Er erhoffte sich ein besseres Leben, weit weg von dem Bürgerkrieg in seinem Land. Nach zehn Tagen kamen sie in Deutschland an. „Mein Sohn hat deutsche Polizei gesehen und war glücklich“, sagt Rakan Ali in gebrochener deutscher Sprache. Es sei eine große Erleichterung für die drei Syrer gewesen, die Beamten zu sehen. Die Familie habe sich nach langer Zeit wieder sicher gefühlt.

„In Syrien musst du nicht lernen, da musst du einfach arbeiten gehen“

In Damaskus war der Kurde 20 Jahre lang als Schneider tätig. Er hat bei seinem Onkel den Beruf erlernt und später den Betrieb übernommen. „Ich hatte 20 Mitarbeiter“, erzählt der Familienvater stolz. Ein erfolgreicher syrischer Geschäftsmann. Eine abgeschlossene Ausbildung in seinem Beruf hat er nicht. „In Syrien musst du nicht lernen, da musst du einfach arbeiten gehen“, erklärt Ali. Der Syrer war mit voller Begeisterung Schneider. Er ist es immer noch. Wenn Ali heute seine alte Schneiderei mit der jetzigen vergleicht, setzt er ein verschmitztes Lächeln auf. Er gibt zu, dass es in Syrien einfacher war eine Schneiderei zu führen. „In Deutschland hast du viel mehr Papier“, sagt Ali und bezieht sich damit auf die strengen Vorlagen und die vielen Unterlagen, die man ausfüllen muss, um einen eigenen Laden zu eröffnen. Auch die Miete eines Ladens ist in Deutschland teurer. Trotzdem könne der Schneider Rakan Ali in Kulmbach nicht glücklicher sein: „Ich bin sehr zufrieden. Ich habe mehr Kunden als in Syrien und der Ort hier ist sehr schön.“

Auf engem Raum von den vielen Farben und Stoffen erschlagen

Ganz bescheiden und dennoch sehr stolz präsentiert er im Hinterzimmer, dem „Lagerraum“, seine vielen Stoffe. Auf engem Raum wird man von den vielen Farben und den verschiedenen Stoffarten schon fast erschlagen. Auch original syrische Stoffe sind dabei. Wenn Ali davon erzählt, wie er Kleidungsstücke umändert oder gar neu entwickelt, strahlen seine Augen, er beginnt zu gestikulieren und erklärt ins Detail genau, wie sein Handwerk funktioniert. Voller stolz holt er unter seinem Tresen eine Mappe vor und zeigt Bilder von einer Deutschland sucht den Superstar-Teilnehmerin, deren Kleid er designen durfte.

„Ich kann nichts anderes außer das“

Der 39-jährige Schneider Rakan Ali musste in seiner Heimat einiges zurücklassen. Von dem eigenen Geschäft, zwei Häusern und seinen Liebsten musste er sich verabschieden. Als er in Deutschland ankam absolvierte der Flüchtling zuerst einen Deutschkurs. Nach dem Kurs war dem 39-jährigen schnell klar: „Ich möchte arbeiten.“ Sein Wunsch war es, hier in Deutschland wieder selbstständig arbeiten zu können und das in seinem Handwerk, dem Schneidern. „Ich kann nichts anderes außer das“, gibt er zu. Mithilfe des Kulmbacher Künstlers Andreas Schoberth gründete Ali sein „Start up“. Der Künstler stellte dem Syrer vorrübergehend einen Teil seines Ateliers kostenlos zur Verfügung und lies ihn in Kulmbach Fuß fassen. Die Integration war ein voller Erfolg. Knapp zwei Jahre später steht Rakan Ali auf eigenen Beinen und eröffnet seine eigene Schneiderei.

„Für Familie. Die Zukunft hier ist besser“

Der mutige Geschäftsmann hat gegen den Rat vieler deutscher Ämter seinen Traum verfolgt und nie aufgegeben. Kein leichter Schritt. Mit der Unterstützung von Familie Schoberth führt Schneider Rakan Ali nun schon ein Jahr lang erfolgreich ein eigenes Geschäft. Wenn Rakan von Andreas und Margit Schoberth spricht, strahlt er, in seinen Augen kann man die Dankbarkeit gegenüber dem Ehepaar förmlich spüren. Die beiden Kulmbacher sind die Betreuer der Familie Ali. Die syrische Familie wollte sich hier in Deutschland integrieren und das hat sie geschafft. „Für Familie“, sagt der Syrer immer wieder. Sie stehe für ihn im Mittelpunkt. Seine Frau hat hier in Deutschland das zweite Kind zur Welt gebracht und arbeitet nun als Lehrkraft in einer Schule. Sein 9-jähriger Sohn spielt Fußball in einem örtlichen Verein und kann laut Ali schon perfekt Deutsch sprechen. „Viel besser als ich und meine Frau“, gibt der Schneider zu und lacht.

„Ich vermisse die Heimat, aber zurück möchte ich nicht“

„Ich vermisse die Heimat, aber zurück möchte ich nicht. Die Zukunft hier ist besser“, sagt er. Wenn er über seine neue Heimatstadt Kulmbach spricht, besiegt das Lächeln die sonst etwas nüchterne Fassade. Er fühlt sich sicher und gut aufgehoben. Hier kann er sich seine Zukunft vorstellen. Ein kleiner Mann, der große Ziele verfolgt.

Posted by Sarah Schmidt in Kindheit, Kindheit im Wandel der Zeit, Sarah Schmidt