Ein Trauerfall versetzt uns in einen Ausnahmezustand. Es ist wichtig, jemand an seiner Seite zu haben, dem man vertrauen kann.
Michael Stübinger ist aus vollem Herzen Bestatter.
„Eigentlich wollte ich in vier Wochen aufhören.“ Michael Stübinger wird Ende Juli 60. Fast ein Viertel Jahrhundert arbeitet er in einem Beruf, in dem er sich täglich mit einem schwierigen Thema auseinandersetzen muss: Mit dem Tod. Der Kulmbacher Stadtrat Stübinger ist hauptberuflich Bestatter. Das hat heute nichts mehr mit dem bierernsten Totengräber von früher zu tun. Michael Stübinger ist ein stattlicher Mann, groß, braungebrannt. Mit einem markanten Schnäuzer und kleinen Lachfalten um die Augen. Korrekt gekleidet, mit weißem Hemd und blauer Krawatte, trotz der großen Hitze. Er lacht gerne und viel, sein trockener Humor macht das Thema Tod erträglicher.
Schon mit 18 hat er bei der Beerdigung seiner Großmutter das Gefühl, das ist ihm nicht würdevoll genug. Er würde einiges anders machen. Dennoch schlägt er erst andere Wege ein. Er wird Kaminkehrer, verpflichtet sich 12 Jahre bei der Bundeswehr, studiert Umwelttechnik und arbeitet bei einem Kulmbacher Unternehmen. Am Bierfest 1995 trifft er einen ehemaligen Kollegen, der inzwischen auf dem Friedhof arbeitet. Michael Stübinger beschließt: „Ich denke, ich mache ein Bestattungsinstitut auf.“ Der Bekannte erzählt ihm von einem Bestatter, der aus gesundheitlichen Gründen einen Nachfolger sucht. Dann geht es schnell. Im August unterschreibt er die Verträge, ab dem 1. Oktober gehört ihm das Bestattungsinstitut. Ahnung hat er von dem Metier da noch nicht. Damals ist Bestatter kein Ausbildungsberuf. Ein Gewerbeschein genügt. Die Kenntnisse muss sich Michael Stübinger selbst aneignen. Der Vorbesitzer verspricht, ihn einzuarbeiten. Doch dann kommt es völlig anders. Am 26. September stirbt der Mann und Stübinger hilft beim einbetten. Es ist seine erste Beerdigung als Bestatter.
Bestatter ist ein Job rund um die Uhr
Es ist ein hartes Geschäft. Stübinger erzählt: 24 Stunden muss er erreichbar sein, 365 Tage im Jahr. Am Anfang hat er alles alleine gemacht, dann übernahm seine Frau die Büroarbeit. Inzwischen hat er vier Angestellte. Diese übernehmen nun auch Bereitschaftsdienste, entlasten ihn. Aber: die schwierigen Fälle bekommt doch immer er. Stübinger wird ernst. Schwierig, das ist für ihn, wenn Kinder sterben, Suizide. Leichenteile aufklauben. Damit muss er fertig werden. Polizei-Leichen nach Unfällen, das macht er seit sechs Jahren nicht mehr. Das war ein zu schweres Geschäft, mit noch mehr Bereitschaftsdienst und wenig Anerkennung.
Wichtig ist es für ihn, auch mal Abstand zu gewinnen. „Man kann mit den Angehörigen mitfühlen, aber man darf nicht mittrauern, sonst zerbricht man irgendwann“. So ganz scheint er es aber nicht zu schaffen. Vor 10 Jahren hat er den ersten Herzinfarkt. Michael Stübinger ist immer für alle da. Er möchte es perfekt machen. Aber jetzt auch mal Zeit mit seiner Frau und seinem jungen Hund genießen. Allerdings fehlt ihm ein Nachfolger. Er hatte auf seine Kinder gesetzt. Die Beiden sind in das Geschäft von klein auf mit hineingewachsen. Seine Tochter machte nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau als eine der Ersten die neue Ausbildung zur Bestatterin. 12 Jahre hat sie im Familienbetrieb mitgearbeitet, bis es ihr zu viel wurde. Ihr erster Beruf sei nervenschonender, sie arbeitet jetzt wieder als Bürokauffrau.
Nachfolger dringend gesucht
Stübinger möchte sein Lebenswerk nicht an irgendjemanden übergeben. Er sucht einen Nachfolger, der das Beerdigungsinstitut in seinem Sinn weiterführt. Fast schon hatte er eine Nachfolgerin gefunden. Eine junge Bestattungsmeisterin, mit dem besten Abschluss in Deutschland kam sie nach Kulmbach. Nach einem Jahr stieg sie mit ins Geschäft ein. Doch dann fiel sie aus gesundheitlichen Gründen plötzlich längerfristig aus. Die junge Frau wird wahrscheinlich nie mehr in dem Beruf arbeiten können. Damit ist auch die Übernahme des Geschäftes geplatzt. Stübingers Sohn trat in die Fußstapfen des Vaters und wurde Kaminkehrer. Dennoch setzt Stübinger alle Hoffnungen in ihn: Sein Sohn hilft immer noch mit, wenn Not am Mann ist. Stübinger klingt hoffnungsvoll: Vielleicht übernimmt der Sohn das elterliche Geschäft doch noch, eventuell in drei Jahren. Gerne würde er dann weiter mithelfen, aber die Verantwortung abgeben.
Michael Stübinger erzählt sehr engagiert von seinem Beruf. Er machte ihn immer gerne, zumindest bis vor fünf oder sechs Jahren. Er will den Toten einen letzten Dienst erweisen. Sie gut zurechtmachen, für den letzten Anblick. Für ein schönes, würdevolles Bild, das den Angehörigen im Gedächtnis bleiben soll.
Er wird ernst. In den letzten Jahren wurden die Anforderungen immer höher. Die Kunden wollen immer mehr, ein letztes großes Ereignis inszenieren, sehen ihn als eine Art Last-Event-Manager. Das gefällt ihm nicht. Für ihn gilt das Motto: „Dienst den Lebenden. Würde und Ehre den Verstorbenen.“
An fast alle Beerdigungen kann er sich noch gut erinnern. Wie er mit den Angehörigen am Tisch saß, sich Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen angehört hat. Stübinger kann gut mit Menschen umgehen. Ihnen das Gefühl geben, sie sind wichtig, der Verstorbene ist wichtig. Sein trockener Humor hilft in den schweren Stunden, sich auch an schöne Dinge zu erinnern, auch mal Lachen zu können. Positiv sind dann auch die Rückmeldungen. Er freut sich über jedes Dankschreiben, manchmal kommen auch kleine Aufmerksamkeiten von zufriedenen Angehörigen. Gerne erinnert er sich an das positive Schreiben, das Thomas Gottschalk ihm geschickt hat. Die Beerdigung für Gottschalks Mutter hatte er gestaltet. Er hat Rutila Gottschalk auch gut gekannt, sie hat zwei Häuser über seinem Büro gelebt.
Manchmal kommt es anders
Michael Stübinger will immer sein Bestes geben, eine perfekte, würdevolle Beerdigung ausrichten. Trotzdem läuft auch bei ihm nicht immer alles nach Plan. Schon ziemlich am Anfang seiner Bestatterlaufbahn hatte er ein kurioses Erlebnis. Ausgerechnet am 11.11. Anlass: Eine große Beerdigung des Schwiegervaters eines Kulmbacher Ehrenbürgers. Die Friedhofskapelle rappelvoll. Alles scheint gut vorbereitet. Der geschmückte Sarg wird an Stübinger vorbeigerollt. Er schaut, dann stockt ihm der Atem: auf dem Wagen steht der falsche Sarg. Heute kann er darüber lachen. Damals wäre er am liebsten im Erdboden versunken. Es half nichts. Wie ein armer Sünder stand er mit trockenem Hals vor der versammelten Trauergesellschaft und gab seinen Fehler zu. Der Sarg wurde gegen den Richtigen getauscht und es konnte doch noch der richtige Tote betrauert werden. Diese Beerdigung wird er nie vergessen, sein Verhalten hat ihm aber auch Sympathie in Kulmbach eingebracht.
Sein Organisationstalent war auch bei einem anderen ungewöhnlichen Fall gefragt: Zwei Stunden vor der Beerdigung riefen die Angehörigen an, das Grab sei ja gar nicht offen. Stübinger forschte nach: in der Friedhofsverwaltung war ein Zahlendreher passiert. Ein Grab war geöffnet und komplett abgetragen worden, nur leider das falsche. Schnell aktivierte er seine eigenen Grabmacher, die mit ihrem Bagger anrückten, der Steinmetz lies sein Mittagessen stehen und kam auch auf den Friedhof. Zwischendrin hatte Stübinger noch eine andere Beerdigung. Er habe den Pfarrer gebeten, ein Lied mehr singen zu lassen, damit sie noch etwas mehr Zeit hätten. Geschafft haben sie es noch rechtzeitig, aber Stübinger sagt lachend: „In der Zeit bin ich um zehn Jahre gealtert.“
Für seine letzte Ruhestätte hat er auch schon Pläne. Er überlegt, sich eine Gruft in Kulmbach zu kaufen. Was für einen Vorteil das hat? Er lacht: „Keinen. Aber am Jüngsten Tag tu ich mir leichter mit dem ´rauskrabbeln.“